In Haueingängen schnüffeln finde ich nicht berauschend – allerdings brauchte ich es nie als „Alternativverhalten“, weil meine Hunde nie Passanten angepöbelt haben –
wenn ich mir vorstell, mein nicht gerade kleiner Hund schnüffelt, Haustor geht auf, 5 jähriges Kind stapft fröhlich raus, muss sich enorm einbremsen und erschrickt womöglich total…
ich halte es für rücksichtslos eine derartige Möglichkeit nicht in Betracht zu ziehen und darauf Rücksicht zu nehmen….Menschen kommen nun mal aus dem Haustor und haben ein Recht auf „Barrierefreiheit“
Kannst die Horrorstories in deiner Vorstellung wieder zurückpfeifen: Mein Hund sagt mir, wenn im nächsten Moment vielleicht die Tür aufgeht, er ist nämlich ein geborener Wächter und von Natur aus auf solche Dinge fokussiert. Muss nur ein kurzer Blick zur Tür sein, inzwischen sind wir ein recht gutes Team. Dann bedanke ich mich bei ihm und plaudere nett mit dem 5-jährigen Kind. Und sollte das Kind alleine der Anblick meines mit Maulkorb gesicherten, ruhig mit meiner Hand am Brustgeschirr neben mir stehenden Hundes erschreckt haben … habe ich auch noch ganz viele lohnende Themen, die Kinder meist sehr interessieren und die Angst vergessen lassen. … Und wenn das nicht mehr geht, werde ich schweren Herzens keinen Hund mehr haben, dann hat dein Ziegelstein gewonnen, der mir theoretisch auf den Kopf fallen könnte ...
Dass wir Hauseingänge als Alternativverhalten brauchen, müsstest allerdings mit den Vorbesitzern diskutieren, die ihm erfolgreich beigebracht haben, dass Ausweichen keine Alternative ist, dass man bei Fuß, an kurzer Leine durch jede noch so beängstigende Situation durchgeschleift wird, weil Menschen ja immer ach so den Überblick haben. ... Die einzige Alternative, die er irgandwann noch hatte, war: Sich zu wehren. ... Und dann landete er im Tierheim.
Die Vorbesitzer waren übrigens keine bösen Menschen. Sie haben ihn nicht geschlagen, angeschrien, vernachlässigt und was man sonst so pauschal denken könnte. Sie waren auch nicht dumm oder unerfahren oder verantwortungslos. Im Gegenteil: Es waren sehr nette Menschen, die den Hund wirklich liebten, sich sehr bemüht haben, aber irgendwann verzweifelt und überfordert waren (nicht zuletzt von den Anforderungen anderer Hundehalter und „der Gesellschaft“.).
Sie haben ihn übrigens „erzogen“: Die Grundkommandos kannte er alle, hat sie sogar gerne ausgeführt, so lange er kein ernstes Problem zu lösen hatte. Sie haben nur übersehen, dass sie ihm in seiner Angst und Überforderung damit nicht helfen. Dieser Hund wird nie mehr „gehorchen“: Zusätzlich zu seiner schon genetisch bedingten Eigenständigkeit hat er auch noch die Erfahrung gemacht, dass ihn menschliche Entscheidungen meist ziemlich in die Bredoullie bringen. Und es geht trotzdem, ganz ohne Gehorsam. Nur mit gegenseitigem Vertrauen zueinander und in uns selbst.
Genug von meinem Hund, um den geht es nicht; wir kommen inzwischen recht gut miteinander und mit unserer Umwelt klar. Es sollte nur ein Beispiel dafür sein, dass Verständnis, gegenseitiges Vertrauen und Selbstvertrauen sehr viel wichtiger sind als Gehorsam. Und jeder, „Gehorsams-Freak“, den es jetzt in den Fingern juckt zu antworten: „Das ist ja eh klar!“ soll jetzt bitte mal kurz innehalten und sich fragen, warum er/sie dann immer nur von Gehorsam redet und das mit dem Vertrauen unter den Tisch fallen lässt. Und wie genau Gehorsam Vertrauen herstellt – oder ob nicht doch eher Vertrauen zu „Gehorsam“ (ich bevorzuge den Begriff „Folgsamkeit“) führt.
Weil unterschiedliche Begriffe unterschiedliche Bedeutungen haben? Weil unterschiedliche Bilder und Emotionen und Erwartungshaltungen damit verknüpft sind? Weil Kommunikation halt genau so funktioniert? Wozu bräuchten wir sonst so viele unnötige Wörter?Ich werde nie verstehen, wie man sich immer an Begrifflichkeiten aufhängen kann.
Natürlich macht es einen Unterschied ob man von Kommando und Gehorsam spricht oder von Verständnis und Alternativen. Es macht sogar einen sehr großen Unterschied: in den Köpfen der Hundehalter, in denen der Hunde, in denen der Nicht-Hundehalter, der Politiker, der Klugscheisser, der Unwissenden. In der Gesellschaft, in der wir mit unseren Hunden leben. In den Erwartungen, die gestellt werden. Im Verständnis füreinander und in der Rücksichtnahme aufeinander. Hunde sind Lebewesen, Menschen sind es auch. Lebewesen machen Fehler, aber das heißt doch nicht, dass sie deswegen kleine Kinder fressen. Lebewesen lernen aus Fehlern. … Was passiert eigentlich, wenn wir mal alle so perfekt sind, dass wir uns gegenseitig keine Fehler mehr erlauben oder selbst zugestehen? Wenn wir kein Verständnis mehr dafür haben und damit keine Rücksichtnahme mehr?Sperren wir uns dann alle mit unseren Hunden freiwillig in einen Zwinger und belästigen die Öffentlichekeit nicht mehr mit unserer Awesenheit?
Das Leben der Hunde hat sich in den letzten 10-20 Jahren sehr verändert. Hunde dürfen heute nur mehr unterschiedlichste, teilweise widersprüchliche menschliche Erwartungen erfüllen, egal ob sie das wollen oder verstehen oder auf Dauer können. Für mich ist das die schlimmste Vermenschlichung, die man Hunden antun kann. Und ich fürchte, dass die Hunde langfristig daran scheitern werden.
Man kann den früheren Hundehaltern vielleicht vorwerfen, dass sie sich nicht sonderlich um ihre Hunde gekümmert haben. (Was so pauschal sicher nicht stimmt.) Für die Hunde hatte das jedenfalls auch entscheidende Vorteile: Sie durften z.B. ihre Sozialkontakte (ob mit Hunden oder Menschen) in ihrem individuellen Tempo und unter Wahrung ihrer individuellen Distanz selbst regeln. Hat sich ja scheinbar niemand gekümmert... Und zur Not konnten sie sogar den Nachmittag mit ihren Hundekumpels oder beim Nachbarn verbringen, wenn das Herrchen zu Hause schlecht gelaunt war. Komisch … meine früheren Hunde sind weder zu Hunden gelaufen, die nichts mit ihnen zu tun haben wollten, noch sind sie an Menschen hochgesprungen, die sich nicht ausdrücklich darüber gefreut haben...
Ich bin sicher, dass jetzt wieder alle möglichen Horrorszenarien von früher als „Gegenargument“ ausgegraben werden, die ja stimmen mögen, aber allesamt nichts mit der Tatsache zu tun haben, dass Hunde Auswege hatten, die sie heute nicht mehr haben. Und dass sie Lernwege hatten, die sie heuten nicht mehr haben. … Und jede einzelne Horrorstory wird wieder ein kleines bisschen dazu beitragen, das Vorurteil zu bestätigen, das Hunde von Natur aus böse und gefählich sind... Es macht mich traurig, dass nicht mal mehr Hundehalter Vertrauen in Hunde haben.
In meinen Augen stellen die höheren Anforderungen an Hunde auch höhere Anforderungen an Hundehalter. Ich denke nicht, dass man heute noch einfach so sagen kann: „Er hat zu gehorchen.“ Unsere Hunde haben heute keinen freien Nachmittg beim Nachbarn mehr, sie können sich nicht mehr ihre Auszeit bei einer Runde durchs Dorf nehmen, sie können nicht mehr sagen: "Uuuups, dem Kerl gehe ich lieber aus dem Weg."
Wenn wir das aber alles von unseren Hunden verlangen, dann haben wir auch die Pflicht, mehr Rücksicht auf ihre Bedürfnisse zu nehmen. Ich würde mir jedenfalls mehr Menschen wünschen, die wenigstens erkennen, dass ihrem Hund eine kleine Auszeit in einem Hauseingang gut tun würde, wo er kurz nur mal schnüffeln und Pause machen darf in dem hektischen, rücksichtslosen, distanzlosen Trubel rundherum. Ich hab' immer eine gewisse Sorge, wenn ich sehe, wie Hunde, denen es ganz offensichtlich gerade zu viel wird, die lieber langsamer werden wollen oder ausweichen oder in ihrer Hundewelt herumschnuppern „durchgeschleift“ werden … ob nun an der Leine, per Kommando oder Klicker. Und noch mehr Sorge habe ich, wenn Hundehalter es schaffen, derartige Erwartungshaltungen in der Öffentlichkeit zu etablieren.