Stell dir vor, C&A, du wärest ein junger Mensch mit Migrationshintergrund, aufgewachsen z.B. in 1200 oder 1150 oder 1090. Die Türken von gegenüber können nach 20 Jahren kaum Deutsch. Die Söhne unserer serbischen Mieterin sind langzeitarbeitslos, keiner hat einen Lehrabschluß. Die 3 Kinder unserer albanischen Mitbewohnerin werden in Schule Deitsch lernen, zuhause sie spricht nicht.
Daheim redet man also nicht Deutsch. Man schaut auch kein deutschsprachiges Fernsehen. Der Spruch "Shock your parents, read a book!" würde voll zutreffen, wenn du nicht mit der Muttermilch eingesogen hättest, dass das einzig in Frage kommende Buch von Gott persönlich stammt.
In der Schule erlebst du einen Misserfolg nach dem nächsten.
Andere Kinder hatten mehr Glück und stammen nicht aus religionsverblödeten, extrem bildungsfernen Verhältnissen.
Die kassieren die Einser fast gelangweilt, weil den extrem reduzierten Schulstoff schaffen sie locker, die Hälfte wissens eh schon von daheim.
Und du sitzt daneben und gackst dich vor jeder Schularbeit an, weil du nichts verstehst.
Dein multilinguales Aufwachsen ist nur am (politischen) Papier toll. In der Praxis hast du in überhaupt keiner Sprache einen ausreichenden Wortschatz. Dies würde ja voraus setzen, dass die Familie aus dem tiefgläubigen Schneckenhaus kriecht und sich integriert, indem sie z.B. irgendwelche Hobbies ausübt, Ausflüge unternimmt, international essen geht und dabei auf andere Leute trifft.... Aber Fehlanzeige.
Du siehst dich - mit 13 Jahren! - angesichts eines Segelboots oder Kohlestücks mit einem namenlosen, unbekannten Gegenstand konfrontiert.
Du bist dir nicht ganz sicher, ob Klosterneuburg noch zu Österreich gehört oder schon zu Deutschland.
Du traust dich mit 18, dein erstes Tier anzufassen, nachdem dir stundenlang gut zugeredet wurde.
Nein, das sind keine Einzelfälle.
Eines Tages überzuckerst du, dass du keine Ärztin oder Architektin wirst, weil du dafür nie die Voraussetzungen hattest. Dass du froh sein musst, wenn du eine Lehre kriegst und behältst.
Dass du dein Leben lang lernen musst und möglicherweise trotzdem kein superteures Auto haben wirst.
Dass das goldene Europa gar nicht golden ist, sondern ein knallhartes Arbeitsleben verlangt, wo man für Erfolg schuften muss wie ein Pferd und obendrein noch Verstand und Glück braucht.
Und du tust dir halt sehr schwer mit dem Lesen, mit Deutsch und Englisch. Fremdwörter merkst du dir nicht. Du kannst kaum gedankliche Querverbindungen ziehen, dein geringes Wissen nicht vernetzen. Das hättest du als Kleinkind lernen müssen, aber deine Eltern haben Vorlesen etc. leider völlig verschissen.
Wenn du ein Junge bist, aufgezogen mit Machovorbildern, dann erlebst du, dass sich die Mädels durchsetzen. (Weil sie zäher sind und sich eher durchbeißen.) Dann stehst du zwischen lauter jungen Damen, die bessere Aussichten haben als du.
Und wenn du dann auf einen spinnerten Prediger triffst, egal welche Glaubensrichtung, dann mag dir die Religion als ganz großer Ausweg erscheinen. Religion ist, wie ein kluger Mann erkannte, eine Droge ähnlich dem Opium. Man wird leicht abhängig und kommt dann nimmer davon los. Belohnungszentrem im Hirn werden gefüttert, regelmäßige religiöse Übungen sorgen für Süchtigkeit nach diesen "erweiterten" Bewusstseinszuständen. Dazu das Gruppenerlebnis und das Gefühl, von Gott erwählt zu sein.
Und schon bist du bereit, deine Kinder einem Guru auszuliefern oder dich selbst zu sprengen. Ersteres eher trifft eher gescheiterte Existenzen ohne Migrationshintergund, zweiteres eher (aber nicht nur) die mit Migrationshintergrund.
Ich weiß nicht wie es um unsere Schranke stünde wenn wir in den Straßen von Molenbeek aufgewachsen wären ohne Zukunftsperspektiven - von der Gesellschaft auf unsere Religion und unseren Migrationshintergrund reduziert und grad mal so geduldet.
"Die Gesellschaft" gibt es nicht.
Ich präsentiere mich als Mensch nicht "der Gesellschaft", sondern vielen anderen einzelnen Menschen. Darunter sind natürlich auch potentielle Arbeitgeber.