Aber da ich das Thema nicht nur für mich aufgemacht habe, wäre es nett, wenn Du ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern könntest, speziell für die, die nicht gleich Bücher zu dem Thema lesen wollen.
Ich muss dich enttäuschen, ich bin kein Züchter, sondern lediglich ein Mensch, den das Thema Genetik seit langer Zeit fasziniert. Umso erschreckender sind für mich die Methoden und Rechtfertigungsversuche, die in die Hundezucht Einlass gefunden haben.
Was ist an der Linienzucht so verkehrt und vor allem warum.
Dass Inzucht nicht gescheit ist, muss eigentlich jedem einleuchten, denn da sorgt zum Teil auch die Natur vor, weil wir Menschen z.B. den Geruch von nahen Verwandten so neutral wahrnehmen, dass sie als Geschlechtspartner nicht in Frage kommen.
Was ist an Linienzucht verkehrt?
Zunächst sollte man sich zwei Dinge vor Augen halten:
1.) die meisten Rassen, wie wir sie heute kennen, sind kaum älter als 150 Jahre, was gemessen an anderen evolutionsrelevanten Entwicklungen so gut wie nichts ist. Man hat also in sehr, sehr kurzer Zeit "(Phäno- und Geno-)Typen " herausgezüchtet, wie es die Natur selbst kaum zustande gebracht hätte in dieser Zeitspanne.
2.) Bei der Konsolidierung der Rassen wurden meist nur wenige Individuen verwendet, welche nach Bedarf auf gewisse Merkmale hin miteinander gekreuzt wurden. Dh. zur Fixierung eines Phäno- und/oder Geno-typs ist In- und Linienzucht unerlässlich, hätten die ersten Züchter sich nicht dieser Methoden bedient, hätten die Rassen heute kein einheitliches Aussehen und/oder andere einheitliche Eigenschaften. Wer also einen Rassehund kauft, sollte sich dessen bewusst sein.
Aus populationsgenetischer Sicht sind jene Rassen im Vorteil, welche die meisten "Urahnen" haben. Geht eine Rasse bspw. nur auf 10 Individuen zurück, muss man kein Rechengenie sein, um zu erkennen, dass die Inzuchtbelastung in absehbarer Zeit deutlich höher sein wird, als bei einer Rasse die auf 100 Individuen zurückgeht. Der große Unterschied zu heute war, dass die meisten Rassen für bestimmte Aufgaben gezüchtet wurden und die Individuen der ersten Generationen bestimmte Merkmale/Eigenschaften besitzen mussten, damit sie diese Aufgaben erfüllen konnten. Mittels In- und Linienzucht ist es möglich diese Eigenschaften zu fixieren, weil - wie der Inzuchtkoeffizient beschreibt - dann die Wahrscheinlichkeit steigt, dass an einem Genlocus beide Allele vom selben Vorfahren abstammen. Gleichzeitig erhöht sich bei der Fixierung erwünschter Eigenschaft aber auch die Fixierung schlechter Eigenschaften, umso mehr natürlich je stärker ingezüchtet wird. Das verflixte daran ist, dass sich Defektgene nicht nur dominant, sondern auch rezessiv (als nicht in Erscheinung tretend) vererben und sich erst nach etlichen Generationen (die auch ein Züchterleben überdauern können) merklich manifestieren. Es wurde übrigens schon damals von manchen Züchtern erkannt, dass Inzestzucht nicht den gewünschten Erfolg verspricht, weil die Tiere einen erheblichen Fitnessverlust erlitten. Die Linienzucht wurde jedoch weitgehend geschätzt - bis heute. Tatsächlich handelt es ich aber auch bei Linienzucht um nichts anderes als um "milde" Inzucht. Sie beginnt bei Vetter-Kusine-Verpaarungen, die also auch bei Menschen noch erlaubt ist (aber wenig gebräuchlich). Eine einzige solche Verpaarung wird (obwohl auch diese nach Möglichkeit vermieden werden sollte) keinen großen Schaden anrichten. Die meisten "Linienzüchter" wiederholen diesen Vorgang aber immer wieder - die Folge sind Allelverluste, die durch verschiedene Schwächesymptome ihre Ausprägung erfahren (zB.: verminderte Intelligenz, geringe körperliche/psychische Belastbarkeit, schlechte Verdauung, unzureichende Muskulatur, Skelettanomalien)
Es sei einmal erwähnt, dass der Hund über ca. 100000 Gene verfügt. HD bspw. hat einen polygenen Erbgang, das bedeutet für die Ausprägung dieses Defekts sind mehrere Gene verantwortlich. Andere bekannte Erbkrankheiten sind hingegen auf nur ein Defektgen zurückzuführen. Derzeit sind um die 450 Erbkrankheiten bekannt - Tendenz steigend. Wenn ein Züchter also seine Hunde auf HD- und ED, Augenerkrankungen etc. hin untersuchen lässt, kann er insgesamt vielleicht ein paar Hundert Defektgene ausschliessen (bei HD nicht, weil diese sich rezessiv vererbt). Am Ende sind aber immer noch weit über 99000 Gene nicht untersucht (auch nicht erforscht), worunter sich auch Defektgene befinden. Durch Linienzucht steigt aber die Wahrscheinlichkeit, dass an einem Genlocus beide Allele gleich besetzt sind. Ergo weiß kein Züchter über den Genotyp seines Hundes bescheid.
So viel für den Anfang
