Teil 16
Von Raubtieren und deren Aufzucht - eine Vertiefung:
"Ja wird das denn überhaupt noch was mit den Kampfhunden?" werden sich manche fragen. "Jetzt redet die Mitzi plötzlich über Bären und Rehe, da soll sich noch wer auskennen."
"Genau deshalb mach ich das ja." sagt die Mitzi, "damit die Leut sich am Schluss dann auskennen."
Die Mitzi glaubt nämlich, dass sich die Leut viel zu wenig mit der Entstehung des Hundes befassen und Hunde stattdessen entweder verniedlichen oder dämonisieren, zwei Varianten, die die Mitzi für gleich deppert hält.
Wobei die Mitzi sogar versteht, dass jemand der keine Hunde mag, sich nicht mit der Entstehungsgeschichte von Hunden befasst, weil ihn das Thema einfach nicht interessiert, die Mitzi interessiert sich zum Beispiel ja auch nicht für Quantenphysik oder Tennis, obwohl manche Leut diese Themen sehr ernst nehmen, aber die Mitzi kennt auch Leute, die Hunde mögen und glauben, ihr eigener Hund sei der liebste auf der Welt und sowieso ein Kuschelbär und der Mitzi ihr Hund (den die Mitzi auch in Kapitel 16 eigentlich noch immer nicht hat), sei eine Bestie und das irritiert die Mitzi ein bisschen.
An dieser Stelle möcht die Mitzi noch anmerken, dass sie - ihre vorigen Ausführungen über Bären in Betracht ziehend - findet, dass man eigentlich Angst vor Kuschelbären haben müsste.
Stattdessen trägt die Menschheit Miniaturbären auf Schlüsselanhängern, kauft Kindergartenjausensackerl mit Bärenpfötchenaufdruck, gründet eine Facebookfanseite "Tao Tao und Freunde", sammelt Teddybären und ergötzt sich am weißen Wuschelbären Knut und hat überhaupt keine Angst.
Menschen finden Bären putzig. Warum auch immer. Wahrscheinlich, weil sie nie mit ihnen zusammen gelebt haben. (Die Mitzi hat auch schon mal jemanden total putzig gefunden, bis sie mit ihm zusammen gelebt hat.)
Warum praktisch niemand gemeinsam mit Hausbären lebt, hat die Mitzi beriets zu erläutern versucht. Trotzdem glaubt sie, dass es noch einer Ergänzung bedarf - worin nämlich der Unterschied zwischen zahm und domestiziert liegt.
Weil einzelne Menschen haben es immer wieder geschafft, mit wilden Tieren zusammen zu leben, sogar mit Bären und Hunde waren, als sie noch Wölfe waren, ja auch wild.
Also, das ist jetzt ungefähr so:
Man kann mit ein bisschen Erfahrung, Experimentierfreude und Mut wahrscheinlich jedes Raubtier zähmen. Wenn man es von klein auf um sich hat. Man zieht also zum Beispiel ein Bärenbaby von der Mutter weg und mit der Flasche groß.
Heute, wo man um die Problematik der Handaufzucht weiß, wird so ein Tieraufzieher versuchen, möglichst wenig Kontakt zu dem Babytier zu haben, es unter eine Wärmelampe setzen, ihm eine Mutterattrappe bauen und darauf achten, dass das Tier möglichst wenig auf den Menschen geprägt ist, wenn er es wieder auswildern möchte - dann ist es aber nicht richtig zahm, sondern, weil ja noch ein Kleinkindtier, auf Hilfe angewiesen und deshalb kooperativ.
Wenn der Jungbär aber zuviel Kontakt zum Menschen hat, dann denkt sich das Tier "Mensch Mama!", weil so ein wildes Tier zwar mit Instinkten auf die Welt kommt, aber nicht mit einer Gebrauchsanleitung für "Wie erkenne ich meine richtige Mama?", weil normalerweise ist ja diejenige die Mutter, die das Baby füttert, warum sollte das Tier also Zweifel an der Mutterschaft des Menschen hegen?
Das Tier wird sich also an den Menschen gewöhnen, keine Angst vor ihm haben, weil der ja Mutter und Artgenosse ist und fressen wird es ihn auch nicht wollen, weil der ja Mutter und Artgenosse ist und weil so ein Tierbaby noch ganz andere Interessen hat, als Menschen meucheln - Milch trinken zum Beispiel.
Solange das Tier noch unpubertär ist, klappt so ein Zusammenleben oft ganz wunderbar. Das Viecherl ist zutraulich, aber eben nur deshalb, weil Angst vor der Mutter so einem Viecherl naturgemäß schlecht bekäme.
Wenn das Raubtierchen aber beginnt, erwachsen zu werden, dann entwickeln sich auch die Seiten, die es zuvor nicht gebraucht hat. Jagdtrieb zum Beispiel. Weil sich ja in natürlicher Umgebung ein Tier mit beginnendem Erwachsen werden auf eine eigenständiges Leben vorbereiten müsste und nicht mehr an Mamas Bauchfläschen nuckelt. Das Tier kann sich das gar nicht aussuchen, ob es diese Triebe entwickeln will oder nicht, das ist wie eine fix implantierte Zeitschaltur, die kann auch der Mensch nicht einfach wieder ausschalten.
Nun kann so ein vormals zahmes, weil ausgetrickstes Tier, dem Menschen plötzlich gefährlich werden, weil es beginnt, sich nicht mehr wie ein Baby zu verhalten, sondern wie ein erwachsenes Tier. Menschenkinder sind ja auch nicht gefährlich, bei erwachsenen Menschen dagegen ist sich die Mitzi nicht immer so sicher.
Und, wie die Mitzi ja bereits anklingen hat lassen, so ein handaufgezogenes Tier ist nun auch fortpflanzungstechnisch völlig verwirrt.
Jetzt hat man also ein erwachsenes Tier, dass den Menschen für seinesgleichen hält. Womöglich ist das Tier trotz all seiner Raubtierinstinkte dennoch so umgänglich geblieben, dass der Mensch beschließt: "Mit diesem Tier züchte ich andere zahme Tiere."
Das zahme Tier hat aber unter Umständen nicht das geringste Interesse an echten Artgenossen, sondern findet den Menschen weitaus sexier und der eigens zu Fortpflanzungszwecken herbeigeschaffte echte Artgenosse findet das zahme Tier total bescheuert, um nicht zu sagen kommunikativ behindert, weil das nie normal tierisch sprechen gelernt hat.
Die Zuchtbemühungen enden also häufig bereits bei Zuchttier Nummer eins.
(Übrigens gibt es dieses Phänomen der fehlerhaften Sozialisierung auch umgekehrt.
Die mythenumwobenen Wolfskinder, wie Romulus und Remus es gewesen sein sollen.
Vereinzelt wird von Menschenkindern berichtet, die ohne menschliche Gesellschaft und Zuwendung aufwuchsen, von den eigenen Eltern in Keller gesperrt oder tatsächlich unter Tieren aufgewachsen. Es soll Kinder geben, die mit wilden Hunden lebten und deren Verhalten imitierten, dem Menschen jedoch mit Angst und Agression begegneten, wenn, dann nur mühsam aufrechten Gang und Sprache erlernten und tendentiell tierische Verhaltensweisen beibehielten und nur mühsam oder gar nicht resozialisiert werden konnten)
Gelingt es dennoch, ein auf den Menschen geprägtes Wildtier von den Vorteilen innerartlicher Familienplanung zu überzeugen, dann sind die Nachkommen nicht automatisch zahm, sondern müssen wiederum von klein auf an Menschen gewöhnt werden.
Wachsen diese Tiere einer gezähmten Mutter innerhalb einer Gruppe von Artgenossen auf, haben jedoch losen Kontakt zum Menschen, dann sind sie vermutlich weniger scheu, aufgrund ihres Raubtierseins aber noch längst nicht menschenalltagstauglich, zumindest aber nicht der Überzeugung, der Mensch sei das Muttertier.
Werden sie dagegen von Hand aufgezogen, droht eben genau diese Problematik.
Menschengepäppelte Wildtiere sind oftmals nur in ihrer Jugend wirklich zahm, da abhängig, zudem später im Verhalten völlig fehl geleitet. Mit solchen Tieren zu züchten gestaltet sich schwierig und wenig Erfolg versprechend.
Wenn nun etwa große Raubtiere auch noch spätreif sind, würde es Ewigkeiten dauern, bis sich womöglich ein züchterischer Fortschritt einstellt - in der Zwischenzeit würden viele Züchter aber einfach aufgefressen werden, was den Zuchtfortschritt zusätzlich verlangsamen tät.
Dass der Wolf sich deutlich schneller und - bei günstigen Umweltbedigungen - wesentlich effektiver vermehrt als ein Bär, das hat die Mitzi ja bereits angesprochen.
Wenn man also Wölfe züchtet, sieht man wesentlich rascher, was man da züchtet. Wölfe händisch großzuziehen würde jedoch zu bereits genannten Schwierigkeiten führen.
Wenn man aber zuverlässig zahme Tiere möchte, domestizierte also, dann muss man nicht ein einzelnes Tier an den Menschen gewöhnen und glauben lassen, es sei auch irgendwie ein Mensch, sondern man muss aus vielen Tieren, die ganz normal Tier sind, immer die auswählen, die den Menschen trotzdem interessant finden, ohne ihn sofort zum Fressen gern zu haben.
Die Mitzi mutmaßt also, weil wirklich sagen kann das nach den paar tausend Jahren selbst der gefinkeltste Wissenschafter nicht mehr, dass in den Anfängen des Wolf wird Hund, meist mehrere Wolfswelpen gleichzeitig gehalten und gezähmt wurden.
Wobei ja durchaus die Theorien kursieren, dass Wölfe von sich aus die Scheu vorm Menschen verloren, weil der Mensch so verlockende Bodenschätze überall um seinen Lebensbereich herum liegen hatte - Fleisch und Knochen und Abfälle.
Gerade letztere Theorie löst das Problem der Fehlprägung auf den Menschen und gleichzeitig die Probleme, die ein postpubertäres Halbwildtier dem Menschen bereiten kann, in dem sie gar nicht auftreten, diese Probleme, wenn ein Tier von sich aus Menschennähe sucht.
Dass es nun ausgerechnet der Wolf war, den sich der Mensch zum Begleiter gemacht hat, sofern es nicht genau umgekehrt war, liegt zum einen gewiss in der verhältnismäßig geringen Größe im Vergleich zu anderen Raubtieren, die den Steinzeitmenschen um Leben oder Beute beraubten, der daraus resultierenden relativen Leichtfuttrigkeit und sowieso am wölfischen Zusammenleben.
"Jetzt will mir die Mitzi tatsächlich erklären, dass der Wolf leichter zu zähmen ist, weil er ein Wolf ist." wird sich der leidgeplagte Leser denken und den Kopf schütteln.
"Naja", sagt die Mitzi, "Wolf und Mensch sind sich nämlich gar nicht so unähnlich."
"Jetzt spinnt sie komplett!" mag einer ausrufen, "vermenschlichen tut`s jetzt auch noch. Übergschnappt is die, völlig verrückt!
"Geh, alles halb so wild!" sagt die Mitzi, "eigentlich ist das sogar ziemlich logisch."