Hubert Patterer, OFFEN GESAGT- Kleine Zeitung, 4.10.2015, Open-Air-Humanismus
Nichts gegen die Toten Hosen, coole Band, cooler Sänger, nichts gegen Zucchero oder Wecker, alles Titanen ihrer Zunft, und schon gar nichts gegen das hohe Gut, öffentlich seine Stimme erheben zu können. Und dennoch beschlich einen gestern das Bedürfnis, ein Fragezeichen hinter die Großdemonstration und ihre Botschaften zu setzen.
Es war ein Event des illusionären Humanismus, der das eigene Bekenntnis ins Schaufenster stellte und der es sich verbat, zu fragen, was das, was man forderte und auf die Fahnen heftete, konkret zur Folge hat, und ob die Auswirkungen mit dem, was man beschwor, in Einklang zu bringen sind. Das wäre ein Humanismus, der die Wirklichkeit einbezöge und das Postulat der Menschlichkeit in Balance bringt mit der Vernunft, mit Maß und Mitte. Davon war aber in Wien nichts zu hören. Was das betraf, herrschte tote Hose. Es hätte die Feier, die eine Selbstfeier war, getrübt.
Einer der Kernsätze, den die Veranstalter in die Menge riefen, lautete: "Wir heißen alle Flüchtlinge willkommen, egal, ob sie durch Krieg, Verfolgung oder aus anderen Gründen zur Flucht gezwungen wurden." Unter brachialer Missachtung dessen, was an den Grenzen geschehen ist und jetzt am Wochenende in Salzburg, redete man abermals kopflos jenem Magnetismus das Wort, der die gesetzliche Unterscheidungspflicht ignoriert und damit das Asyylrecht aus den Angeln hebt, und unter Preisgabe staatlicher Ordnung, Steuerung und Souveränität zum Kollektivrecht aller wird. Mit größter Mühe versucht Deutschland, den Kontrollverlust, ausgelöst durch moralischen Überschwang, rückgängig zu machen, während Wien ihn munter befeuert. Die internationalen Schlepper werden sich über die Agenturbilder und die Transparente mit den Parolen "Flüchtlinge rein, FPÖ raus" oder "Flüchtlinge willkommen" freuen und werden sie rasch zu barer Münze machen.