Ich verfolge den Thread schon von Anfang an und finde es furchtbar, dass zwei so menschenbezogene und geliebte Tiere auf so furchtbare Weise sterben mussten.
Ich mache mir viele Gedanken, was da schief gelaufen ist. Denn die beiden Hunde können da wohl am Wenigsten dafür. Und ich will die Schuld auch nicht im Sinn von „böswilliger Absicht“ der Hundebesitzerin geben. Es wird immer Menschen geben, die unfähig sind, Verantwortung zu übernehmen aus welchem Grund auch immer. Ob da Krankheit, Behinderung, Demenz oder was auch immer die Ursache ist – es führt dazu, dass Tiere nicht sachkundig gehalten werden und darunter leiden müssen, und wie in diesem Fall auch andere darunter leiden müssen. Anderswo sind es die 80 Katzen in der Garconniere einer senilen Dame oder die verhungernden Rinder im Stall eines Altbauern; hier sind es Hunde, die zur Gefahr für andere wurden.
Verbunden mit der Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, ist oft eine Unfähigkeit, diese Tatsache zu erkennen. Fehlende Krankheitseinsicht nennt man das. Und verbunden mit der Unfähigkeit und der fehlenden Einsicht ist sehr oft die Hilflosigkeit der Umgebung. Wenn gutes Zureden und Warnung nicht hilft, was soll man denn da noch machen? Man kann ja einen Menschen nicht einfach in seinen Rechten beschneiden. Da muss erst was passieren, das rechtlich irgendwie relevant ist. Solang niemand was von den 80 Katzen weiß, solang die Kühe nur bis zum Bauch im Mist stehen und noch nicht verhungert sind, solang die Hunde nur herumrennen und nicht grade das Lieblingstier von jemandem erwischen – solange geschieht genau: Nichts.
Und ich denke, daran wird sich auch nichts ändern, solang man immer nur mit Schuldzuweisungen um sich wirft. Das ist wie bei den kleinen Kindern, die sich streiten wer angefangen hat. Man verheddert sich endlos in Nebenfragen. Und die eine, eigentliche Frage bleibt völlig unberührt:
Wie weit geht das Recht eines Menschen, mit seiner Umgebung nach Gutdünken zu verfahren? Wer hat überhaupt das Recht, über andere zu verfügen? Die ganze Geschichte der Zivilisation und Rechtssprechung ist nichts anderes als ein zähes Ringen um genau diese Frage.
Es ist noch gar nicht so lang her, dass auf der Ebene des privaten Lebens der „Pater familias“ der alleinige Inhaber von Rechten war, und die Behörden sich da nicht einmischen konnten. Niemand konnte ihm dreinreden, was er mit Familie, Vieh und Hausrat machte. Vergewaltigung in der Ehe und Prügelstrafen für Kinder wurden in Österreich erst 1989 unter Strafe gestellt. Wenn schon Frauen und Kinder erst seit so kurzer Zeit ein Recht auf gewaltfreie Behandlung haben, was wird dann wohl für Tiere gelten?
Das muss man sich mal vergegenwärtigen, um zu begreifen, warum Tiere von Gesetz wegen nur eine Sache sind und selbst keinerlei eigene Rechte haben, sondern lediglich ihr Besitzer entweder einen Schaden verursachen oder selbst geschädigt werden kann. Sprich: Rehe und Hasen, die im Wald von Hunden gerissen werden, sind völlig rechtlos, nur dem Jäger stünde es zu, diese Rehe und Hasen als seinen Besitz zu reklamieren und sich dadurch als geschädigt zu empfinden. Auch die Ziegen, die vor zahlreichen Zeugen elend zu Tode kamen, hatten selbst keinerlei rechtliche Möglichkeit, gegen eine solche Behandlung zu protestieren oder Schutz davor einzufordern. Es lag im Ermessen der anwesenden und zuschauenden Polizisten, ob und in welcher Form sie eingreifen wollten - sie mussten nicht. Der Ziegenbock konnte eine Stunde lang verzweifelt um sein Leben kämpfen und um Hilfe schreien – und weder wurde ihm geholfen, noch kann irgendjemand wegen der unterlassenen Hilfeleistung belangt werden.
Nur die Besitzerin kann den Sachschaden, den sie durch die Tötung der beiden Ziegen erlitten hat, geltend machen. Zusätzlich kann sie erklären, dass dies nicht irgendwelche austauschbaren Tiere aus einer xy- Herde gewesen wären, sondern
1. sehr seltene Exemplare, kostbare Zuchttiere (was den Wert der Tiere und damit den erlittenen Schaden vergrößert) und
2. dass sie selbst diese Tiere sehr geliebt und sie aus dem Grund zusätzlich zum finanziellen Schaden eine tiefe emotionale Verletzung erlitten hat.
Da Tiere selbst kein Recht haben, steht hier nur das Recht der Ziegenbesitzerin auf Besitz ihrer Ziegen gegen das Recht der Hundehalterin auf Besitz ihrer Hunde. Und deswegen kann die Hundehalterin – völlig im Rahmen des Gesetzes – die Rückgabe ihrer Hunde einklagen und staatlichen Beistand bei ihrer Klage einfordern. So ist nun einmal das gängige Recht, und da wird kein ständiges Zanken darüber helfen, wer daran schuld hat, sondern nur eine Grundsatzentscheidung – dass Tiere ebenso wie Menschen ein Recht auf gewaltfreien Umgang mit ihnen haben.
Hmm ja.
Das zweite was mir sehr zu denken gibt in diesem Thread (und auch in allen anderen Soka-Threads) ist die ständige Betonung der „Kampfschmuser“. Dass die Listenhunde überhaupt nicht gefährlich sind, sondern, ganz im Gegenteil, völlig menschenbezogen und unendlich geduldig.
Mein Problem ist, dass das stimmt. Leider stimmt.
Ich – ja hier muss ich es gestehen – habe selbst keine Hunde und auch nie welche gehabt. Aber in drei Jahren gehe ich in Pension und möchte dann einen Hund haben. Und ich informiere mich. Beobachte, lese, denke. Denke sehr oft an meinen Onkel, der einen Pudel hatte (auch erst in der Pension). Erinnere mich an diesen lebhaften, intelligenten, fröhlichen, selbstbewussten und von meinem Onkel sehr geliebten Hund. Dieser Pudel war kein Schmusehund. Mein Onkel hatte eine sehr klare Kommunikation mit ihm, ging sehr achtsam und geduldig mit ihm um; und der Hund hing mit ganzer Seele an ihm und tat alles für ihn - aber nur für ihn. Der Hund war so gut erzogen, dass er überallhin mitgenommen werden konnte, aber er musste für niemanden Knuddelobjekt sein, auch für mich nicht. Er durfte Unbehagen zeigen, durfte knurren, Zähne zeigen – alles im Rahmen seiner Sprache; er durfte sagen: Das mag ich nicht. Und das hatte jeder zu respektieren. Mein Onkel sagte in so einem Fall nur lächelnd: „Das mag er nicht. Schau, er warnt dich. Hör bitte auf damit.“ Er übersetzte sozusagen, was der Hund sagte; und weder war er stolz auf seinen wehrhaften Hund, noch wäre es ihm eingefallen, von dem Hund zu fordern, dass jeder mit ihm machen und ihn grob anfassen kann. Und es wäre ihm auch nie eingefallen, den Hund irgendwo allein, ungesichert und schutzlos zu lassen. Mein Onkel ist für mich das Vorbild eines souveränen, bedachtsamen Hundehalters; und sein Hund ist für mich das Vorbild eines glücklichen Hundes.
Und ich war überrascht und schockiert, als ich beobachtete, was die ständige Betonung „mein Hund ist doch nicht gefährlich, der ist höchstens ein Kampfschmuser“ bedeutet. Das sind tatsächlich Hunde, die sich von ihren Menschen unendlich viel gefallen lassen. Der Besitzer kann so grob mit ihnen umgehen wie er will, kann jedes Zeichen, dass es dem Hund eigentlich schon zuviel ist, übersehen – der Hund nimmt alles hin, es würde ihm nie einfallen zu knurren, er beschwichtigt ohne Ende. Und der Besitzer ist stolz drauf wie gutmütig sein Hund ist. Wie er sich packen und hinwerfen und niederknuddeln lässt. Wie er sich von den Kindern ohne Ende alles gefallen lässt. Der Hund meines Onkels hätte sowas nie geduldet, der hätte da schon längst zugebissen... Dieser freundliche, umgängliche, bestens erzogene Pudel hätte sich niemals so grob behandeln lassen, ohne sich zu wehren. Und wenn mein Onkel so mit ihm umgegangen wäre, hätte er einen nervösen, ängstlichen Problemhund gehabt.
Für mich ist es tatsächlich ein Beweis für die Nervenstärke und innere Festigkeit der Sokas, dass sie als „Kampfschmuser“ ihrem Namen gerecht werden. Aber ich frage mich, wieviel Gutes das den Hunden bringt. Weder lernen die Besitzer, sensibler auf ihren Hund einzugehen; noch schützt es sie davor, von Leuten gehalten zu werden, die gar nichts von Hunden verstehen. Jeder Halbstarke kann sich einen Soka zulegen und mit ihm angeben – eben weil er nichts von Hunden verstehen muss, weil der Hund jedes Verhalten seines Besitzers toleriert, weil der Halbstarke vorführen kann, wie er seinen Hund dominiert und ihn beherrscht, ohne dass der Hund sich je dagegen wehren würde.
Und so gibt es dann zahllose Hundehalter, die glauben zu wissen, wie man mit Hunden umgeht… die aber in Wirklichkeit nur von ihren endlos geduldigen Hunden toleriert werden.
Dann, irgendwann, summieren sich all diese Fehler. Der Besitzer hat es nie für nötig gehalten, das Zusammensein von Kind und Hund zu beaufsichtigen; das Kind hat nie gelernt, einen Hund zu respektieren. Die Beschwichtigungssignale wurden permanent übersehen. Der Hund durfte nie knurren oder sonst wie zeigen, dass es ihm zuviel wird. Und dann, plötzlich, „unvorhersehbar“, kommt es zur Katastrophe. Die Hundehalter selber sind immer am meisten überrascht. Der Hund war doch immer so gutmütig, ließ sich alles gefallen.
Ich denke, das ist der Grund für die Idealisierung der Sokas auf der einen Seite als gutmütige Schmuser, und die Dämonisierung auf der anderen Seite als unberechenbare Bestien. Und ich würde mir wünschen, dass man wieder auf die realen Hunde zurück kommt.
Mit lieben Grüßen,
Brigitte