Urteil des 3. Senats vom 23. Februar 2006 BVerwG 3 C 14.05
I. VG Gelsenkirchen vom 14.05.2003 Az.: VG 7 K 625/01
II. OVG Münster vom 15.09.2004 Az.: OVG 20 A 3176/03
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 3 C 14.05 am 23. Februar 2006
OVG 20 A 3176/03 Thiele
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler und
Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. September 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I
1Der Kläger führt Seminare zur Hundeerziehung durch und möchte dabei den Einsatz von Elektroreizgeräten vorführen. Solche Elektroreizgeräte ermöglichen es, mittels eines Senders über Entfernungen bis zu mehreren Hundert Metern Hunde durch einen in einem Halsband integrierten, mit Elektroden versehenen Sender Stromreizen unterschiedlicher Stärke und Länge auszusetzen.
2Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 14. November 2000 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er beabsichtige, auf einem Privatgelände Elektroreizgeräte zur Hundeausbildung vorzuführen und einzusetzen. Der Beklagte erwiderte, dass das Vorführen und der Einsatz von Elektroreizgeräten gemäß § 3 Nr. 11 TierSchG grundsätzlich verboten und bis zum Erlass einer Verordnung lediglich mit einer unter anderem von einem Sachkundenachweis abhängigen Ausnahmegenehmigung zulässig sei.
3Mit seiner daraufhin erhobenen Klage begehrt der Kläger festzustellen, dass er berechtigt sei, ohne Sachkundenachweis Elektroreizgeräte vorzuführen und einzusetzen. Die von ihm benutzten Geräte der Firma I. lägen mit ihrer Reizwirkung in einem Bereich, der im Rahmen der Reizstrombehandlung bei Menschen unbedenklich sei. Schmerzhaft könnten nur die beiden obersten Stufen sein. Das Elektroreizgerät sei ein Hilfsmittel, das die Erziehung eines Hundes ohne Stockschläge, Tritte oder Stachelhalsbänder ermögliche und dem Tier die artgemäße Bewegung im Sinne des § 2 Nr. 2 TierSchG erlaube.
4Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Einsatz von Elektroreizgeräten zur Hundeerziehung sei gemäß § 3 Nr. 11 TierSchG grundsätzlich verboten und könne daher auch nicht im Ausnahmewege etwa bei nachgewiesener Sachkunde erlaubt werden. Elektroreizgeräte seien geeignet, allen Hunden unabhängig von deren Größe und Gewicht erhebliche Schmerzen und Schäden zuzufügen. Der Einsatz des Gerätes solle mittels eines repressiven Verbots (mit Erlaubnisvorbehalt) unterbunden werden. Eine Ausnahme von dem Verbot des § 3 Nr. 11 TierSchG sei bisher weder bundes- noch landesrechtlich geregelt worden.
5Seine Berufung gegen dieses Urteil hat der Kläger damit begründet, dass die Verwendung von Elektroreizgeräten nur dann tierschutzwidrig sei, wenn alle vier Voraussetzungen des § 3 Nr. 11 TierSchG erfüllt seien. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass in § 3 Nr. 11 TierSchG kein absolutes Verbot geregelt sei. Die Norm sei vielmehr einer differenzierten, auf den Einzelfall abstellenden Auslegung zugänglich. Die sachgerechte Anwendung des Gerätes erfülle nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der Verbotsnorm. Es sei nicht feststellbar, dass die vom Kläger genutzten Geräte auch bei sachgerechter Anwendung nicht unerhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden verursachten.
6Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, Elektroreizgeräte seien bei bestimmungsgemäßer Verwendung nach ihrer Bauart und Funktion geeignet, die in § 3 Nr. 11 TierSchG untersagten Folgen herbeizuführen. Für das Eingreifen des Verbots sei es unerheblich, ob im konkreten Fall solche Folgen tatsächlich eintreten. Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung ergebe, dass es für das Verbot auf die Eignung der Elektroreizgeräte zur Herbeiführung der untersagten Beeinträchtigungen ankomme. Entstehungsgeschichte und Gesetzessystematik stünden dieser Auslegung nicht entgegen. Auch der Kläger betone die Notwendigkeit des differenzierten sachgerechten Gebrauchs. Angesichts des von den Geräten ausgehenden Gefährdungspotenzials stelle allein diese Auffassung sicher, dass die mit § 3 Nr. 11 TierSchG verbundene Zielsetzung hinreichend gewährleistet sei. Sie führe zu einem generellen Verbot der Verwendung dieser Geräte und mache ihre Anwendung von weiteren Vorschriften zur Minimierung des Risikos für die Tiere abhängig. Mit diesen Vorschriften könne der Gesetzgeber den berechtigten Personenkreis und die Art und Weise der Geräte näher festlegen. Dem hilfsweise gestellten Antrag des Klägers, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis darüber zu erheben, dass Hunden durch den Einsatz von Elektroreizgeräten der Firma I. im Rahmen der Hundeausbildung bei sachgerechter und üblicher Handhabung keine erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, sei nicht nachzugehen. Die angestrebte Beweiserhebung gehe von einer von bestimmten Rahmenbedingungen abhängigen Anwendung im konkreten Einzelfall aus. Es komme jedoch auf die Eignung der Geräte an.
7Zur Begründung der durch den Senat zugelassenen Revision wiederholt und vertieft der Kläger im Wesentlichen das bisherige Vorbringen. Darüber hinaus macht er geltend, dass im Urteil des Oberverwaltungsgerichts eine Subsumtion unter die Tatbestandsvoraussetzungen fehle und nicht konkret dargelegt werde, ob und inwieweit die Geräte das artgemäße Verhalten des Tieres erheblich einschränkten oder es zur Bewegung zwängen. Auch werde nicht dargelegt und begründet, ob und inwieweit nicht unerhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Eine bloß abstrakte Eignung von Elektroreizgeräten für die in § 3 Nr. 11 TierSchG bezeichneten Folgen erfülle nicht den gesetzlichen Tatbestand. Vielmehr komme es auf den konkreten Einzelfall an. Die Entstehungsgeschichte des § 3 Nr. 11 TierSchG belege, dass der Gesetzgeber ein generelles Verbot nicht gewollt habe. Dies ergebe sich auch aus der im Vermittlungsverfahren vorgenommenen Modifikation der Schwelle für die Maßgeblichkeit der verbotenen Folgen durch die Verwendung des Begriffs „erhebliche“ anstatt des Begriffs „vermeidbare“. Die Revision rügt zudem mangelnde Sachaufklärung. Das Oberverwaltungsgericht hätte Beweis über die konkrete Eignung der vom Kläger verwendeten Geräte zur Zufügung von nicht unerheblichen Schäden erheben müssen. Es habe sich überdies nicht mit den einschlägigen sachverständigen Stellungnahmen in der Beiakte auseinander gesetzt.
8Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
II
9Die Revision ist nicht begründet, da das angefochtene Urteil nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht beruht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die durch den Kläger beabsichtigte Verwendung von Elektroreizgeräten, die erhebliche Leiden oder Schmerzen verursachen könne, für Zwecke der Hundeausbildung gegen § 3 Nr. 11 TierSchG verstößt.
101. Nach der genannten Vorschrift ist es verboten, ein Gerät zu verwenden, das durch direkte Stromeinwirkung das artgemäße Verhalten eines Tieres, insbesondere seine Bewegung, erheblich einschränkt oder es zur Bewegung zwingt und dem Tier dadurch nicht unerhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt. Diese Vorschrift erfasst Elektroreizgeräte, wie der Kläger sie einsetzen will, unabhängig von ihrer Verwendung im konkreten Einzelfall.
11Es handelt sich zunächst fraglos um Geräte mit direkter Stromeinwirkung auf ein Tier. Auch wird das artgemäße Verhalten des Hundes, insbesondere seine Bewegung erheblich eingeschränkt. Ziel der Verwendung ist es gerade, über einen Zugriff auf den Hund selbst über größere Entfernungen unerwünschte Bewegungen wie Weglaufen oder Jagen zu unterbinden und erwünschte Bewegungen wie etwa Herkommen oder dergleichen zu erreichen. Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen des Klägers, dass bei Verwendung eines Elektroreizgerätes mehr Bewegungsfreiheit gewährleistet sei als bei Verwendung einer Leine, nicht geeignet, das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzung zu verneinen. Es handelt sich um zwei Hilfsmittel, die die Bewegungsfreiheit des Hundes auf unterschiedliche Art und Weise einschränken.
12Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht auch entschieden, dass es bei dem Merkmal der Zufügung nicht unerheblicher Schmerzen, Leiden oder Schäden nicht auf die konkrete Handhabung des Gerätes im Einzelfall ankommt, sondern auf seine bauartbedingte Eignung, entsprechende Wirkungen hervorzurufen. Schon der Wortlaut des § 3 Nr. 11 TierSchG weist in diese Richtung. Der Relativsatz, der die Verbotselemente aufzählt, knüpft in allen seinen Teilen an das Gerät an und benennt dessen Eigenschaften. Dem kommt besonderes Gewicht zu, weil der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates lautete: „Es ist verboten, Geräte zu verwenden, die … und den Tieren dadurch … zufügen, …“ (BTDrucks 13/7015 S. 28). Mit einer solchen Formulierung wäre auf den konkreten Anwendungsakt abgestellt worden.
13Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis dieses Vorschlags schließlich eine geräteorientierte Formulierung wählt, muss davon ausgegangen werden, dass damit bewusst von der Verwendung im konkreten Einzelfall abgesehen werden sollte.
14Auch der in der Begründung zur Einfügung des § 3 Nr. 11 TierSchG zum Ausdruck kommende Sinn und Zweck der Vorschrift spricht für ein generelles Verbot. Dort wird das Erfordernis einer weiteren Verbesserung des Tierschutzes unterstrichen und zur Notwendigkeit des Verbots elektrischer Geräte ausgeführt, die Praxis zeige, dass beim Einsatz elektrischer Dressurhilfen die vielen erforderlichen tierschützerischen Aspekte bei ihrer Handhabung sehr oft nicht berücksichtigt würden (BTDrucks 13/9538 S. 1 und 3). Nur durch ein generelles Verbot kann diesem Zweck Rechnung getragen werden. Ein Verbot nur bestimmter Verwendungsweisen ginge über den vorherigen Rechtszustand nicht hinaus und wäre zudem kaum praktikabel.
15Dass § 3 Nr. 11 TierSchG ein generelles Verbot enthält, zeigt schließlich der Nachsatz: „soweit dies nicht nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften zulässig ist.“ Danach bleiben besondere Regelungen, mit denen in Abweichung von dem generellen Verbot der Einsatz von Elektroreizgeräten in bestimmten Situationen und/oder für bestimmte Personen zugelassen wird, unberührt. Derartige besondere Regelungen können auch in Rechtsverordnungen nach § 2a Abs. 1a TierSchG enthalten sein. So sollte nach Auffassung des Bundesrates, auf dessen Initiative § 3 Nr. 11 TierSchG zurückgeht (BTDrucks 13/ 7015 S. 28), die Anwendung von Elektroreizgeräten im Rahmen der Ausbildung, der Erziehung und beim Training von Hunden durch eine Rechtsverordnung nach § 2a Abs. 1a TierSchG geregelt werden (ebd. S. 26).
162. Nach § 3 Nr. 11 TierSchG mögliche Ausnahmen von dem generellen Verbot durch „bundes- oder landesrechtliche Vorschriften“ sind bisher nicht normiert worden. Das Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen hat zwar unter dem 16. Februar 2000 (Az.: II C 3-4201-4694) einen Erlass zur Anwendung von Elektroreizgeräten bei der Erziehung von Hunden herausgegeben, wonach bis zum Inkrafttreten einer Verordnung nach § 2a Abs. 1a TierSchG unter bestimmten Voraussetzungen unter anderem bei nachgewiesener Sachkunde Ausnahmen von dem gemäß § 3 Nr. 11 TierSchG grundsätzlichen Anwendungsverbot von Elektroreizgeräten im Einzelfall zulässig sein sollen. „Bundes- oder landesrechtliche Vorschriften“ im Sinne von § 3 Nr. 11 TierSchG sind jedoch nur Rechtsnormen, nicht auch Erlasse, denen keine unmittelbare Außenwirkung zukommt. Daher stellt der hier vorliegende ministerielle Erlass keine geeignete Ausnahmevorschrift dar.
173. Obwohl bisher keine Ausnahmen normiert sind, verstößt das generelle Verwendungsverbot für Elektroreizgeräte, die geeignet sind, nicht unerhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden hervorzurufen, nicht gegen Verfassungsrecht. Es stellt zwar einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit dar. Ob ein Eingriff in das Grundrecht auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG anzunehmen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn beide Grundrechte können auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden, das durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Dies bedeutet, dass der gesetzliche Eingriff zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sein sowie bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein muss (BVerfG, Beschlüsse vom 16. März 1971 1 BvR 52/66 u.a. BVerfGE 30, 292 ; vom 4. Oktober 1983 1 BvR 1633/82 u.a. BVerfGE 65, 116 ; vom 22. Mai 1996 1 BvR 744/88 u.a. BVerfGE 94, 372 ). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Verbot des § 3 Nr. 11 TierSchG fügt sich ein in den in § 1 TierSchG benannten Zweck des Gesetzes, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Sie dient damit anerkannten Gemeinwohlbelangen, die nunmehr, insbesondere da Art. 20a GG seit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. Juli 2002 (BGBl I S. 2862) auch Tiere ausdrücklich unter den Schutz des Staates stellt, verfassungsrechtlich verbürgt sind. Die Bundesregierung hat die vom Bundesrat zunächst vorgeschlagene Regelung zwar als unverhältnismäßig bezeichnet (BTDrucks 13/7015 S. 41). Doch erfasst die Gesetz gewordene Fassung demgegenüber von vornherein nur solche Geräte, die erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen können. Es geht mithin um die Verhinderung schwerwiegender Eingriffe in die Integrität der Tiere, die tierschutzrechtlich ohne weiteres relevant sind. Eine Regelung, die darauf abstellte, ob im Einzelfall diese Schwelle vom Anwender überschritten wird, wäre zur Sicherstellung des Tierschutzes ungeeignet, da sich ihre Einhaltung nicht kontrollieren ließe.
184. Das generelle Verwendungsverbot verstößt auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht, namentlich die Freiheit des Wahrenverkehrs. Nach Art. 28 EG sind zwar mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Nach Art. 30 EG stehen die Bestimmungen der Art. 28 und 29 jedoch u.a. solchen Einfuhrbeschränkungen nicht entgegen, die zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Tieren gerechtfertigt sind. Das Verbot des § 3 Nr. 11 TierSchG dient dem in Art. 30 EG ausdrücklich genannten Tierschutz.