Nun zu SIBIRIEN - ein Monolog, der nur durch 1 Schauspieler gekennzeichnet ist. Unterbrochen wird das Stück durch Lieder aus Operetten und aus einem musikalischem Lustspiel, wie zum Beispiel Des is a Wein, mit dem bin ich per Du oder Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe. Das gesamte Buch stützt sich auf den erschütternden Erfahrungsbericht einer Schwester eines Pflegeheims, der unter dem Titel Arbeit mit alten Menschen herausgegeben wurde und erschienen ist. Die Uraufführung fand am 6. August 1989 in der Hohe Munde- Garage In Telfs statt. Es wurde aber such im Rahmen der Volksschauspiele unter der Regie von Klaus Peymann inszeniert mit Fritz Mulier in der Hauptrolle.
Die Fabel des Werkes ist kurz und bündig: Ein alter Mann, der von seiner Familie in ein Pflegeheim abgeschoben wird, vergleicht sein Leben dort mit der Kriegsgefangenschaft in Sibirien. Deshalb auch der Titel! Die Gefühlskälte seiner Mitmenschen macht ihm allerdings mehr zu schaffen als damals die extreme Kälte jener Gegend.
An dieser Stelle möchte ich direkt mit einer Leseprobe anschließen, die diesen Zusammenhang vortrefflich verdeutlicht- Seite 39 f.
Die Handlung etwas ausführlicher:
Als der Protagonist nach einer Hüftoperation und dem damit verbundenen längeren Krankenhausaufenthalt endlich nach Hause darf und er voller Freude das Daheim erwartet, kommt die große Enttäuschung: er wird- um es mit seinen eigenen Worten auszudrücken- in einer Nacht- und Nebelaktion in das Altersheim deportiert. Ohne ihn auf irgendeine Weise vorgewarnt oder ihm Erklärungen geliefert zu haben, möchten sich sein Sohn, dessen Frau und die 3 Kinder somit von seiner Last befreien, das von ihm finanzierte Haus für sich alleine haben und mögliche Pflichten gegenüber dem Opa einfach abgeben.
Dieses selbstsüchtige Verhalten seiner Angehörigen kränkt ihn zutiefst. Seit dem Tod seiner teuren, geliebten Frau Agnes Jahre zuvor waren sie die einzigen, denen er Vertrauen schenkte, die für ihn da waren. Aus seiner anfänglichen Wut wird Hass, schließlich bloße Verzweiflung. Schließlich legt der alte Mann seinen ganzen Stolz ab. Er entschuldigt sich für sein cholerisches Verhalten und verspricht, sich in allen Hinsichten zu bessern, wenn sein Sohn ihn doch nur wieder heimholen würde. Aber all sein Betteln und Flehen bleibt unerhört, sein Wunsch unerfüllt. Nicht einmal seinen für ihn über alles wichtigen Hund darf er bei sich haben.
Über das exakte Alter oder den Namen des Hauptcharakters erfahren wir nichts; der Autor hält sich nicht mit belanglosen Fakten auf, sondern konzentriert sich stattdessen auf das Wesentliche, zum Beispiel auf die Betonung der Tatsache, dass mit dieser Einlieferung der konstitutionelle Verfall, der geistige Niedergang ihren Anfang nehmen. Dabei wird aus dem agilen, rüstigen Senior, der noch völlig klar bei Verstand ist, mit der Zeit ein psychisch labiles Wrack.
Zuerst bemüht sich der Mann noch mit allen Kräften, gegen die vielen Ungerechtigkeiten anzukämpfen und sich gegen das ständige Im- Bett- Liegen-Müssen zu wehren, gewisse Rechte zu fordern. Auch die typischen Alterserscheinungen, wie Gedächtnisverlust, versucht er zu unterdrücken beziehungsweise hinauszuzögern, zum Beispiel strengt er sich krampfhaft an, durch Singen dem Schrumpfen vorzubeugen- eher erfolglos.
Doch der Abstieg lässt nicht lange auf sich warten. Die raue, grausame und absolut inhumane Behandlung der alten Menschen kann natürlich nicht ohne Einfluss auf deren Verhalten sein.
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Als letzten Ausweg sieht der Protagonist den Brief an den Bundespräsidenten, in dem er seiner Empörung Ausdruck verleiht, von den schrecklichen Zuständen schreibt und er es mit dem Wort Altenvernichtung auf dem Punkt bringt. Damit erreicht er etwas!
Der Politiker stattet dem Heim gemeinsam mit seiner Gattin einen Besuch ab, um sich persönlich von der Gewichtigkeit und von der Tragik der Situation ein Bild zu machen.
Doch dieses kleine Stückchen Erfolg wird dem alten, einsamen Mann nicht mehr richtig bewusst; zu diesem Zeitpunkt hat er die Kontrolle über sich und seine Würde, bereits verloren, er kann sich nicht mehr wirklich beherrschen.
Schließlich scheidet er- zum hilflosen, gebrochenen Greisen mutiert - aus dem Leben.
Einige seiner letzten Worte:
Aber nun muss ich wohl nachgeben.
Der Kampf ist zu Ende.
Mein Tod macht mir nichts aus,
aber mein langes Sterben hat mich betrübt.
Das Sterben auf diese Weise,
in dieser Anstalt, zu dieser Zeit!