Tierschutzrelevant??? Daniel Schwizgebel: Hunde aktivieren statt hemmen - der bessere Weg zur Verhaltenskontrolle (1999)
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Iris Hinkel, Montag, 30. Mai 2011 um 23:25
Daniel Schwizgebel: geb. 1954 in Bern, Schweiz. Studium der Biologie mit Schwerpunkt Verhaltensforschung. Lizenziats über "Zusammenhänge zwischen dem Verhalten des Tierlehrers und dem Verhalten des Deutschen Schäferhundes in verschiedenen Dressurdisziplinen". 1982 Eröffnung eines Praxis für Verhaltenskunde beim Hund als Novum in der Schweiz.
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Durch die fortdauernde, äußerst kontrovers geführte Diskussion rund um Schutzdienst, Tierschutz und verschiedene Hilfsmittel zur Hundeausbildung sowie den in diesem Zusammenhang genannten Schweizer Diplombiologen und Erfinder des Aktivierungstrainings, Daniel Schwizgebel - siehe: Profil Markus Pollak, wird der kritische Leser motiviert, sich näher mit dem Inhalt von dessen Buch, "Hunde aktivieren statt hemmen; der bessere Weg zur Verhaltenskontrolle", auseinanderzusetzen.
Da im Zuge der Diskussion Herr Schwizgebel mehr oder weniger offen als hundequälender Psychopath dargestellt wird, seien an dieser Stelle einige Aussagen aus seinem Werk präsentiert, die den wahren Sachverhalt zur Kenntnis bringen sollen.
Herr Schwizgebel ist sich, das sei angemerkt, durchaus bewußt, daß die von ihm erdachte Ausbildungsmethode ob des Einsatzes elektrischer Stimulation schärfste Kritik hervorruft, weswegen er bereits im Vorwort klarstellt: "Allerdings seien Leser, die bereits über Erfahrung in der Ausbildung von Hunden verfügen, darauf hingewiesen, daß die intellektuelle Auseinandersetzung mit einer neuen Methode ebenso unangenehm oder gar schmerzhaft sein kann wie das Antragen und Einlaufen von einem neuen Paar Schuhe. Alte und daher liebgewonnene Vorstellungen müssen möglicherweise über Bord geworfen werden und durch neue, vorerst fremde ersetzt werden. Dies ist ein mühsamer Prozeß. Wer ihn durchsteht, wird mit einem Verfahren belohnt, das sowohl den legitimen Anspruch des Hundehalters nach einer möglichst maximalen Verhaltenskontrolle Realität werden läßt als auch die Erfüllung der zentralen Bedürfnisse des Hundes nach Verständnis, Zuneigung, echter Autorität und Partnerschaft gewährleistet" (S.15).
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Zunächst nennt Schwizgebel eine für sein späteres Schaffen maßgebliche Person, den Berner Hochschulprofessor und Verhaltensforscher Beat Tschanz, der es mit seinem Bedarfsansatz (Tschanz, 1982) ermöglichte, "...zur Lösung der Ende der siebziger Jahre anstehenden Tierschutzfragen mit seinen Mitarbeitern einen Ansatz zu entwickeln, bei welchem das Tier als Gesamtheit Eingang gefunden hat. ... Darin interessiert nicht allein, wie die einzelnen Teile eines Tieres funktionieren, sondern vielmehr wie Tiere es schaffen, sich bei der Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung so zu verhalten, daß sie wachsen und das Aufgebaute auch erhalten können. Durch Einbezug von Selbstaufbau und Selbsterhaltung wird dem Tier etwas zugesprochen, welches es mit uns Menschen gemeinsam hat und welches alle Lebewesen von unbelebten Objekten unterscheidet. Damit wird die Zuordnung des Tieres zu den Sachen, wie dies leider in unseren Gesetzen immer noch geschieht, aufgehoben und ihm eine spezielle, mit dem Menschen vergleichbare Stellung in der Welt zugestanden" (S.10).
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Im Anschluß bezieht sich Schwizgebel auf Daniel Tortora, Amerikaner und Doktor der Psychologie mit lernpsychologischer und ethologischer Ausbildung, und beschreibt den Einfluß des von diesem entwickelten Sicherheitstrainings auf das Aktivierungstraining: "Bei diesem Verfahren (Anm: Sicherheitstraining) wird unangenehmes Empfinden des Hundes, welches durch mechanische Druckreize und elektrische Stimulation erzeugt wird, nicht wie üblich zur Reduktion unerwünschter und fehlerhafter Verhaltensweisen des Hundes eingesetzt, sondern zur Steigerung korrekter Reaktionen auf Kommandos. Im Gegensatz zum Bestrafungs - oder Korrekturtraining, welches auf Dauer zu einem unsicheren Hund führt, entsteht dabei beim Hund als Folge der immer wieder bestätigten Bewältigungsfähigkeit Sicherheit, welche an seinem Ausdrucksverhalten erkennbar wird. Sicherheitstrainierte Hunde tragten den Schwanz in rassetypischer Ausprägung erhöht, der Kopf wird bei nach vorne gerichteten, bei stehorigen Rassen aufgestellten Ohren aufrecht gehalten, und die zur Ausführung der Kommandos notwendigen Bewegungen sind lebhaft, spritzig und kraftvoll.
Die Weiterentwicklung des Sicherheitstrainings durch Einbezug der wahrnehmungspsychologischen Konzeption, nach der Reize immer in Abhängigkeit von mehreren Faktoren, wie beispielsweise des Umfelds, in dem sie auftreten, emotional wahrgenommen werden, hat schließlich zu dem von mir als ´Aktivierungstraining´bezeichneten Trainingssystem geführt. Darin werden potentiell unangenehme Reize so fein dosiert eingesetzt, daß sie korrektes Verhalten des Hundes fördern und die gesamte Trainingssituation vom Hund als angenehm empfunden wird" (S. 13).
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Im Zuge der weiteren Lektüre von "Hunde aktivieren statt hemmen" bekommt der Leser eine breite Palette an wissenschaftlicher Auseinandersetzung zu verschiedenen Themenbereichen geboten: unterschiedliche Formen des Lernens werden ebenso besprochen wie die Wirksamkeit einzelner Verstärkerpläne und die Auswirkungen elektrischer Stimulation auf die verschiedenen Bereiche des Organismus. Weiters wird anhand von anschaulichen Beispielen der theoretische Hintergrund zu den präzise beschriebenen Trainingsanweisungen und Übungen erklärt und das komplexe Zusammenspiel von Vor -, Futter - und Spiel-, Druck - und Elektrotraining erläutert.
Durch den Vergleich der Auswirkungen elektrischer und mechanischer Stimulation auf den Organismus wird zudem verdeutlicht, daß "die Unterscheidung zwischen (Stark-)Zwangmitteln und anderen, wie dies in Hundesportlerkreisen üblich ist, keinen Sinn macht. Denn mit beinahe jedem Hilfsmittel ist sowohl die Ausübung von Zwang oder das Zufügen von Schmerz als auch das Gegenteil möglich. Sinnvoll wäre demnach, zwischen Methoden und Verfahren, die auf dem Einsatz von Zwang und Schmerz basieren, und solchen, bei denen Hunde gewaltlos ausgebildet werden, zu unterscheiden" (S.51).
Sehr ausführlich wird darüber hinaus auf das Lernprinizip des Bestrafungs - und Korrekturtrainings eingegangen und postuliert, daß "das Training mit Strafreizen, wenn es denn überhaupt noch nötig ist, erst bei einem hoch trainierten Hund Sinn macht" (S.72).
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Es soll auch auf eine im Jahre 1983 von Tortora durchgeführte und von Schwizgebel in "Hunde aktivieren statt hemmen" beschriebene experimentelle Untersuchung hingewiesen werden. Darin wurden "...36 Hunde, die sogenannte vermeidungsmotivierte Aggression gegen den Besitzer und Familienangehörige zeigten, einem ausgewogenen Trainingsprogramm unterzogen. Die Hunde lernten, einen im Verlaufe des Trainings allmählich an Intensität zunehmenden elektrischen Reiz durch korrektes Ausführen von 15 verschiedenen im Hundesport üblichen Kommandos zu vermeiden. Dabei zeigte sich, daß, parallel zu diesem Prozeß, die Häufigkeit aggressiven Verhaltens gegen Personen drastisch sank und schließlich den Wert null erreichte." Und weiters: " Diese Veränderung stellte sich ein, ohne daß die Hunde für aggressives Verhalten bestraft wurden. Was war mit den Hunden geschehen? Es scheint so zu sein, daß sie durch die beim Training gemachte Erfahrung, mit schmerzhafter elektrischer Stimulation unter Einsatz von nichtaggressiven Verhaltensweisen, wie absitzen, abliegen, zum Trainer kommen oder über eine Hürde springen, erfolgreich zu Rande zu kommen, eine neue Strategie zur Bewältigung unangenehmer Situationen erlernten. Zudem stellte sich bei den Hunden aufgrund der wiederholt auftretenden Bestätigung der Bewältigungsfähigkeit ein Gefühl der Sicherheit ein. Dieser Aspekt hat bei der Namensgebung des von Tortora entwickelten Therapieverfahrens Pate gestanden: ´Safetytraining´" (S.78).
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Nach der Lektüre von "Hunde aktivieren statt hemmen; der bessere Weg zur Verhaltenskontrolle" wird, letzten Endes, als Gesamteindruck, eindeutig klar, daß Herr Schwizgebel alles andere ist als ein tierquälender Psychopath, sondern vielmehr jemand, der durch die Entwicklung des Aktivierungstrainings nicht nur in ausbildungstechnischer Hinsicht, sondern auch auf der Ebene des Tierschutzes Großartiges zustandegebracht hat, denn Tierschutz in bezug auf den Hund besteht nicht nur darin, ausgestoßenen Individuen Nahrung, Obdach und Erziehung angedeihen zu lassen, sondern auch
1) in der Entwicklung von Trainingsmethoden, die dazu beitragen, das Los der unzähligen, im Sport und im Dienst geführten Hunde zu erleichtern - als Alternative zu den dort oftmals "harten" Ausbildungsmethoden, sowie darin, sich
2) dafür einzusetzen, daß das Prinzip des Verhaltensgleichgewichts in die Gestaltung von Prüfungsordnungen Eingang findet, weil "...ausgewogene Prüfungsprogramme ... somit der Rechtfertigung harter Methoden durch sportlichen Erfolg die Kraft entziehen..." könnten.
Fazit 1: Wer Herrn Schwizgebel als Tierquäler verurteilt, hat sein Buch entweder nicht gelesen oder nicht verstanden.
Fazit 2: Die Frage, ob Herr Schwizgebel im Zuge des Kynologischen Lehrgangs an der Veterinärmedizinischen Universität vortragen soll, ist eindeutig mit "ja" zu beantworten. Was natürlich nicht bedeuten soll, daß es nicht auch spannend sein könnte, sich im Zuge dieses Lehrgangs erklären zu lassen, wie man intensiv und über lange Zeit Hunde trainieren kann,
ohne irgend einen angestrebten Effekt zu erzielen ... derart fachkundige Personen werden wohl nicht allzu schwer aufzutreiben sein ...