Teil 11
Die Mitzi erklärt, was ein Kampfhund ist.
Eine Vertiefung der Erweiterung der Erörterung:
Die Mitzi findet ja, man kann sich schon vor Hunden fürchten, wenn man unbedingt möchte.
Manche haben Angst vorm schwarzen Mann unterm Bett (dabei steht der wenn, dann vor der Tür und bringt Glückwunschkalender für`s neue Jahr, bevor er dir den Ruß vom Kamin raus, rein in die Wohnung putzt), andere flüchten vor 50 Gramm Nagetier auf den nächsten Stuhl und warten auf Rettung, wiederum andere verfallen in Panik, wenn eine Spinne des Weges kreucht - Die Bedrohungsszenarien der Menschheit sind vielfältig. Für den solcherart Geängstigten ist diese Angst wohl tatsächlich real und gar nicht lächerlich.
Der Mensch ist ein Spätentwickler, das gilt auch für die Dinge, die er bedrohlich findet - erst muss er über Generationen hinweg lernen, was alles gefährlich sein kann, um dann Jahrhunderte zu brauchen, um zu erkennen, dass er die meisten tatsächlichen Gefahren bereits aufgegessen hat und sich mangels Fressfeinden ohnehin schon längst, wenn nicht sogar schon immer, selbst die allergrößte Gefahr ist.
Aber halt! Die Mitzi hatte ja nicht vor, zu überlegen, warum der Mensch in urzeitinstinkgesteuerten Bildern denkt, obwohl er sich instinkterhaben wähnt und auch sehr kultiviert, sondern die Mitzi wollte eigentlich erklären, was dieser furchteinflößende Kampfhund ist und hat dabei noch immer keine zufriedenstellende Erklärung geliefert.
Zufriedenstellend wäre, glaubt die Mitzi, wenn sie jetzt schreiben würde, dass Kampfhunde blutrünstige Bestien sind, weil das interessiert die Leute.
Die Leute sehen gerne Bilder von kulleräugigen Babies und niedlichen Kätzchen und zwischendurch mögen sie auch gerne ein bisschen Aufregung und Action. Und blutrünstige Bestien sind halt spannend, aus sicherer Distanz betrachtet - also möglichst hinter Gittern oder sonstwie umzäunt oder in neuerer Zeit auch vom Safarijeep aus oder hinter Glas, Mattscheibe meistens.
Das Kolosseum wurde ja auch nicht gebaut, damit keiner hin geht. Und der Fernseher ist halt die Gladiatorenarena der Neuzeit. Brot und Spiele und was der Nachbar macht, das interessiert die Leute.
Die Leute wollen entweder Geschichten, die tragisch anfangen und gut enden oder die Geschichten, die gut anfangen und tragisch enden.
Die Mitzi hat ja bereits, als Art soziologischer Exkurs, die englischen Industriearbeiter angesprochen, die Trendsetter waren, für eine ganze Reihe unterhaltsamer Beschäftigungen, um sich von ihrem Elend abzulenken.
Das hat es zwar überall auf der Welt und wohl zu jeder Zeit gegeben, das Bedürfnis, sich zur Entspanung ein wenig die Nerven kitzeln zu lassen, man ist Hinrichtungen anschauen gegangen oder Hexen verbrennen, aber gerade die Engländer haben herausragende Leistungen in Sachen Wetten vollbracht.
Pferderennen und Tierkämpfe sieht die Mitzi ja als Vorläufer des Sportwettcafes, wo die Leut auch heute noch auf Tiere wetten würden, die sich gegenseitig zerfleischen, aber das ist leiderleider nicht mehr erlaubt. Und wenn man kein Blut sehen will oder gerade keines vorrätig ist, dann halt Geschwindigkeit. Die Wagenrennen der Antike, Greyhounds und Vollblüter auf der Rennbahn oder Formel eins.
Damit das alles noch spannender wird, hat der Mensch die Wetten erfunden, denn zu der freudigen Aufregung des Schaulustigseins kommt dann noch der Thrill der Möglichkeit des plötzlichen Reichtums oder des Verlustes von Hab und Gut. Wobei ja jeder immer wettet, irgenwann kommt er, der Reichtum. Denn wenn Hab und Gut weg sind, dann muss ja auch mal das andere eintreten.
Statistiken und Wahrscheinlichkeitsrechnung haben Menschen noch nie davon abgehalten zu glauben, was sie glauben möchten.
Die Arbeiter haben also gewettet, in der Hoffnung der Tristesse ihres Fließbanddaseins zu entkommen und ihrer Armut.
Man kann natürlich auch darauf wetten, ob es das erste oder das zweite Gänseblümchen von links ist, das als erstes aufblühen wird, vom finanziellen Prinzip her wäre es völlig egal worauf gewettet wird, aber der Spaßfaktor ist nicht ganz unentscheidend, insbesondere aber der Gruselfaktor - ersatzweise der Speedfaktor.
Nun, es gibt natürlich auch Menschen, die sich in ihrer Freizeit daran erfreuen, wenn sie hübschere Rosen gezogen haben, als der Kleingärtner von nebenan oder seltene Briefmarken im Album haben oder gar den Hauptpreis vom Taubenzüchterverein gewinnen, für die schönst gemusterte Brieftaube. Aber den meisten Menschen sind diese Dinge viel zu unspektakulär.
Die englischen Arbeiter damals haben also gewettet, auf spannende Dinge. Weil nicht jeder ein Profiboxer war und sich gerne gepflegt prügelte und man auch keine Sklaven oder Kriegsgefangene mehr hatte, die man irgendwem zum Fraß vorwerfen konnte, haben die meisten Wettwilligen Tiere in den Ring geschickt.
Man hätte natürlich wetten können auf "Welches Schwein frisst den Trog am schnellsten leer?" oder "Welche Taube kackt als erste?", aber alles unter Gruselindex 4,37 generiert nicht genug Publikum, weil langweilig, obwohl der Spaßfaktor womöglich um 3,53 Punkte über dem Durchschnitt läge. Aber wenn, dann will man die Wetterei schon ernsthaft betreiben.
Also hat man Hunde gegen Ratten antreten lassen. Gewonnen hat der Hund, der innerhalb einer bestimmten Zeitspanne die meisten Ratten erlegt hat. In einem dunklen Schuppen oder Hinterhof sieht man aber von den hinteren Plätzen aus leider gar keine Details. 39 tote Ratten, das kann man glauben oder nicht, man hat es ja gar nicht richtig erkennen können und es geht ja bekanntlich auch um die Details eines Kampfes.
Damit also auch in den letzten Rängen noch was sieht und weil so ein Kampf Hund gegen Ratte auch nicht besonders fair ist, wurden Hunde gegen Hunde gehetzt. Kleine Hunde oder mittelgroße.
Ganz große hätte man natürlich viel besser gesehen und es hätte auch unheimlich beeindruckend gewirkt, aber große Hunde konnte sich keiner leisten. Ein großer Hund mit großem Mund frisst mehr, als sich so ein Fabriksarbeiter, der sich sein Leben schon nicht leisten kann, leisten kann. Für einen großen Hund hatte keiner Platz, der daheim mit der ganzen Famile in einem einzigen Raum eingepfercht gelebt hat und sich nicht so nebenbei eine Tierpension, oder einen Gantztageshundesitter leisten konnte, um das Tier aushäusig unter zu bringen.
Also hat man die kleinen, zähen Hunde genommen, mit denen man auch illegal Kaninchen gejagt hat, was natürlich deshalb verboten war, weil ja die Jagd ein Privileg der Privilegierten war und auch richtige Jagdhunde, also keine dahergelaufenen Promenadenmischungen, ein Privileg der Priviligierten waren. Überhaupt, was braucht ein Arbeiter Fleisch, wenn er Kartoffeln essen kann?
Also haben die Arbeiter meistens Kartoffeln gegessen oder Rüben, weil sie sich was anders nicht leisten konnten, obwohl selbst ihre Kinder zumindest 12 Stunden in den Fabriken schufteten. Deshalb haben sie gehofft, dass wenigstens ihr Hund mehr einbringt oder die Wetten, als die Tagelöhnerei in der Textilfabriken oder im Bergwerk.
Und am meisten hat der Hund eingebracht, wenn er einen Kampf gewonnen hat, gegen einen anderen Hund.
Man teilt ja Boxer und sonstige menschliche Ringkämpfer in Gewichtsklassen ein, damit der Kampf fair bleibt. Das hat man auch bei Hunden getan. Fair ist ein Synomym für "Möglichst lange dauert, weil beide etwa gleich stark sind, damit dann der gewinnt, der bereit ist, am weitesten an seine Grenzen zu gehen - darüber hinaus wäre natürlich noch besser."
Weil neben Spiel und Spaß braucht`s natürlich auch Spannung, Schokolade kam erst später.