Sendung vom 21. November 2004
Modehund Golden Retriever
Von Cornelia Baumsteiger
Samstagmittag im Tierheim Bocholt. Zwei Kleintransporter werden erwartet. Sie bringen ausrangierte Zuchthündinnen aus holländischen Tiervermehrerfarmen. Es ist nicht das erste Mal, dass der Verein Retriever in Not solche Tiere freikauft und zunächst ins Tierheim bringt. Viele der missbrauchten Tiere können sich in den Ausläufen hier zum ersten Mal frei bewegen. Sie haben ein Leben voller Entbehrungen hinter sich. In den Massenzuchtanstalten sollen die Hündinnen lediglich so oft wie möglich werfen. Für ihr Wohlbefinden geben die Vermehrer kein Geld aus.
Über einen Mittelsmann wird der Verein kurzfristig benachrichtigt, wenn Hunde abgeholt werden können. Für jeden Hund lassen sich die Betreiber der Farmen noch 100 Euro zahlen. Die Tierschützer sind wütend über die Zustände, aber sie ballen die Faust in der Tasche. Sie schweigen und nehmen, was sie bekommen können. Denn für Hunde, die zu alt sind, die nicht genug produzieren oder für Welpen, die sich nicht verkaufen lassen, gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder werden sie an andere Vermehrer weitergegeben oder sie werden kurzerhand beseitigt oder landen bei Tierschützern.
Retriever in Not hat bereits einen Namen, und deshalb wird der Verein immer wieder gefragt, ob sie ausrangierte Hunde haben wollen. Erst im Tierheim können sie sich die neuen Schützlinge in Ruhe ansehen und sind dann jedes Mal aufs Neue bestürzt. Die Hündinnen, die ihr Leben oft in dunklen Verschlägen verbringen mussten, hatten bis dahin nur Kontakt zu Menschen, wenn ihnen Futter gebracht wurde oder sie geschlagen wurden. Kein Wunder, dass viele Tiere mit Panik auf die neue Umgebung und die fremden Menschen reagieren. Manche sind schwer krank, kommen mit Tumoren, Hautkrankheiten und Infektionen. Die ausgeleierten Gesäuge lassen darauf schließen, dass sie viele Welpen auf die Welt gebracht haben.
Welpen werden nur selten herausgegeben. Sie sehen zwar putzig aus, doch die Tierschützer warnen: In der Regel sind sie nicht sozialisiert und nur an den Verschlag ihrer Mutter gewöhnt. Da sie medizinisch schlecht betreut wurden, sind sie meistens nicht entwurmt. Die Impfpässe sind oft gefälscht und die Welpen nicht geimpft. Viele werden der Mutter viel zu früh weggenommen.
Sie leben in ihrer Hülle, sagt Nicole Elsweiler von Retriever in Not. Wenn die Hündinnen den ersten Schreck überwunden haben, werden sie von der Ärztin des Tierheims untersucht. Erst dann können Vereinsmitglieder, die bereit sind, einen der Hunde in Pflege zu nehmen, mit ihren Schützlingen nach Hause fahren.
Im Tierheim Bocholt schätzt man die Zusammenarbeit mit Retriever in Not. Die Probleme mit dem Billigimport von Modehunden sind hier gut bekannt. Vorstandsmitglied Dirk Schwar: Wenn man für 250 oder 350 Euro einen Retrieverwelpen kauft, kann man gleich 3.000 Euro daneben legen, weil man nach einigen Tagen beim Tierarzt ist.
Der Golden Retriever mit seinem lockigen Fell, seinen sanftmütigen, dunklen Augen und seinem freundlichen Wesen steht auf der Hitliste der Lieblingshunde der Deutschen an Nummer eins. Keine Rasse ist auf Straßen, Park- und Waldwegen so häufig anzutreffen. Seinen Verwandten, den kurzhaarigen Labrador Retriever, sieht man seltener.
Ursprünglich wurden beide für die Jagd gezüchtet. Der Name leitet sich vom englischen to retrieve ab, was apportieren bedeutet. Heute gilt er als der perfekte Familienhund. Doch seine Beliebtheit ist auch zu seinem Verhängnis geworden. Die wenigsten, die sich einen Retriever kaufen, überlegen sich, wo die vielen Tiere der Rasse herkommen und welches Elend die vielen Tausend Hündinnen im Verborgenen erdulden müssen.
Denn die Nachfrage ist enorm. Und weil auch auf dem Tiermarkt die Gesetze des Marktes funktionieren, wird die Nachfrage befriedigt. Seriöse Züchter, die ihre Tiere artgerecht halten, ihre Hündinnen nicht permanent belegen lassen und die Welpen sorgfältig aufziehen, können das nicht. Wer bei ihnen kauft, muss mit längeren Wartezeiten rechnen und für einen Welpen bis zu 1.500 Euro zahlen.
Massenzüchter und Händler, die deren Ware verkaufen, bieten diese Hunde dagegen ständig und wesentlich günstiger an. Im Anzeigenteil lokaler Zeitungen finden sich jedes Wochenende Annoncen, die ständig Welpen besonders beliebter Rassen anbieten. Obwohl immer wieder davor gewarnt wird, werden solche Tiere gekauft. Denn den Käufern wird der Erwerb dieser Hunde leicht gemacht: Es ist günstig, und wer einen besonders mickrigen Welpen aus Mitleid kauft, hat auch noch das Gefühl, ein gutes Werk getan zu haben. Die Käufer treffen eine Augenblicksentscheidung und haben sich mit dem Thema Hund vorher häufig nicht beschäftigt. Die Kinder wollen so einen Hund, und es soll so ein hübscher Golden Retriever sein, wie der Nachbar ihn hat. Aber kosten darf er nicht viel.
Häufig müssen sich später Tierschützer solcher Hunde annehmen, da die kranken und schlecht erzogenen Problemhunde ihren Besitzern wenig Freude bereiten. Die Rüden sind häufig aggressiv, die Hündinnen haben ihre Panik von der Mutter geerbt und die Tierarztkosten wachsen den Besitzern über den Kopf. Das Bild des treuen, widerstandsfähigen Familienhundes stimmt nicht mehr. Die Rasse ist völlig überzüchtet. Dagmar Auf der Maur und Nicole Elsweiler, die beiden Organisatorinnen von Retriever in Not, kennen neben den ausgebeuteten Opfern der kommerziellen Tiervermehrung auch diese Seite der Massenproduktion. Das Ziel, in Not geratenen Retrievern zu helfen, ist für sie zum Full-Time-Job geworden.
Bisher konnten sie mehr als 400 Hunde in ein neues Zuhause vermitteln. 45 Retriever sind noch in Pflegestellen untergebracht. Da ihre Familien den Einsatz für die Hunde unterstützen, haben beide zu Hause ein ganzes Rudel von Notfällen aufgenommen.
Zum Glück finden sich aber auch immer wieder Interessenten für die Zuchthündinnen, egal wie ausgemergelt oder alt sie sind. Trotzdem ist die Arbeit von Retriever in Not nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn die Chance, freigelassen zu werden und doch noch als Familienhund zu enden, haben die wenigsten. Die Mehrzahl schafft es nicht, den schlimmen Lebensbedingungen zu entkommen.
Deshalb bemüht sich Retriever in Not besonders um die Aufklärung von Kaufinteressierten. Denn erst, wenn sich das Geschäft für die Vermehrer und für die Händler, die von ihnen beliefert werden, nicht mehr lohnt, weil niemand mehr Welpen zu Schnäppchenpreisen kauft, wird die Qual der Hündinnen zu Ende sein.