Die soziale Kontaktnahme 'innerartliche Aggression' ist im Tierreich allgegenwärtig. Sie kann biologisch
als eine Verhaltensweise definiert werden, welche auf einen Artgenossen zielt und dessen Fitness
herabsetzt, verglichen mit derjenigen, die das Opfer erreicht hätte ohne einen solchen Angriff (vgl.
Markl 1982, Kalveram 1991). In der Psychologie versteht man unter einer aggressiven Handlung meist
eine Handlung, welche einen Mitmenschen direkt oder indirekt schädigt (z.B. Merz 1965, Schneider &
Schmalt 1981), wobei man in der Regel voraussetzt, daß eine solche Schädigung auch beabsichtigt
ist. Andere sprechen in diesem Zusammenhang von Gewaltanwendung zum Nutzen des Aggressors,
ohne die Schädigungsabsicht als wesentliche Determinante anzuerkennen, oder von Wettbewerb um
Ressourcen. Unter das so umrissene 'phänomenal aggressive Verhalten' fällt beim Menschen eine
verwirrende Vielfalt von Verhaltensweisen, welche nachweislich durch Kultur, persönliche Erfahrung
und angeborene Mechanismen geprägt sind (Miles & Carey 1997). Einigkeit darüber, wie diese Vielfalt
theoretisch geordnet werden könnte, besteht derzeit nicht, denn die zur Definition der Aggression
benutzten Begriffe wie Fitnessbeeinträchtigung, Schädigung, vorteilbringende Gewaltanwendung oder
Wettbewerb, sind nicht bedeutungsgleich.
Literarisch-verbale Beschreibungen sozialer Interaktionen und der subjektiven Erlebnisse
dabei helfen in dieser Situation nicht weiter. Der hier verfolgte Ansatz ist vielmehr, die obige biologische
Definition der Aggression zugrunde zu legen, d.h. strikt von der biologischen Funktion des
Sozialverhaltens auszugehen. Gefragt wird danach, wie denn soziale Kontaktnahmen überhaupt
entstehen konnten und wie sie sich im Laufe der Evolution fortentwickelt haben, d.h. welcher
Selektionsdruck welche Interaktionsart wohl hervorgebracht hat und weiterhin formt. Lorenz (1963 kommt das Verdienst zu, als einer der ersten diesen Aspekt auf die Aggression angewendet und klar
formuliert zu haben.
Im Rahmen dieses biologischen Ansatzes sehen Soziobiologen die innerartliche Aggression in
der Regel als Produkt der Individual-Selektion an (z.B. Maynard Smith 1974, Trivers 1985), d.h. die
Entstehung dieser Verhaltensweise wird ähnlich erklärt, wie man sich auch die Entstehung von
körperlichen Merkmalen vorstellt: Die Anlage zu einer verbesserten körperlichen Ausstattung führt
durch Konkurrenz zwischen ihren Trägern unmittelbar zu einer höheren Lebenstüchtigkeit, bezogen
auf diejenigen Individuen, die diese Anlagen in geringerem Maße besitzen. Auf dieselbe Weise läßt
sich auch die Evolution von Verhaltensweisen, die der Selbst-Erhaltung und Selbst-Bewahrung dienen,
erklären: Eine effektivere Methode, eine Nahrungsquelle auszubeuten, oder ein leistungsfähigeres
"Frühwarnsystem" vor Gefahren aus der materiellen Umwelt, welches zu einem frühzeitigeren
Rückzug noch vor den Konkurrenten führt, bewirken ebenfalls eine höhere individuelle
Lebenstüchtigkeit. Individualselektion bedeutet also mit anderen Worten, daß die höhere Fitness durch
"Egoismus" und "Rücksichtslosigkeit" erreicht wird, also ohne Interesse an direkter und persönlicher
Interaktion mit anderen Artgenossen.
Quelle Uni Düsseldorf