20.19 Uhr
Verwandte sagen, es ist Natascha Kampusch
Leiter des Bundeskriminalamtes: Es ist wahrscheinlich aber noch nicht zu 100 Prozent sicher
Wien - "Der Fall Natascha Kampusch, die vor acht Jahren verschwunden ist, könnte glücklich zu Ende gegangen sein", erklärteder Leiter des Bundeskriminalamtes, Herwig Haidinger, am Mittwochabend bei einer kurzfristig einberaumten Pressekonferenz in Wien. Zu 100 Prozent könne man das vorerst allerdings nicht bestätigen, aber: "Verwandte haben bei mehreren Gegenüberstellungen gesagt: Es ist Natascha Kampusch."
Jeder Beamte in Wien ist in Einsatz Die Fahndung nach dem mutmaßlichen Entführer laufe auf Hochtouren. "Jeder Beamte in Wien, der unterwegs ist, ist damit befasst", so Haidinger. Bei dem Gesuchten handelt es sich um Wolfgang P. (44), wohnhaft in Strasshof. Dort wurde die mittlerweile 18-Jährige nach eigenen Angaben acht Jahre lang festgehalten.
Die Wende in dem spektakulären Fall hat heute, 13.04 Uhr, ihren Ausgang genommen. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein Funkwagen nach Strasshof beordert. Eine junge Frau habe gemeldet, sie sei ihrem Entführer entkommen. "Ich bin Natascha Kampusch", sagte sie zu den Beamten. Laut Haidinger wurde es immer wahrscheinlicher, dass es sich tatsächlich um die Vermisste handelte. Es seien sofort die entsprechenden Maßnahmen angelaufen, die Sonderkommission des Landespolizeikommandos Burgenland unter Leitung von Generalmajor Nikolaus Koch sei sofort zum Einsatzort beordert worden. (APA)
Großfahnung nach 44-jährigem Entführer
Frau flüchtete aus Auto und taumelte durch Deutsch-Wagram - Sie soll Jahre in Keller verbracht haben - DNA-Analyse noch heute Nacht
Wien – Der Fall der vor acht Jahren verschwundenen Natascha Kampusch nahm Mittwochnachmittag eine völlig überraschende Wendung: In Wien tauchte eine junge Frau auf, die behauptete, die Vermisste zu sein. Wie das Bundeskriminalamt auf StandardAnfrage bestätigte, seien Ermittlungen aufgenommen, um die Identität der Frau zu überprüfen. Die Polizei hält nach ersten Untersuchungen die Wahrscheinlichkeit, dass es sich tatsächlich um Natscha Kampusch handelt für sehr wahrscheinlich.
Die Hintergründe waren zunächst rätselhaft. Die junge Frau soll sich zuerst in Deutsch Wagram in Niederösterreich als Natascha Kampusch zu erkennen gegeben haben. Unbestätigten Meldungen zufolge soll sie aus einem BMW geworfen worden sein. Zeugen notierten das Kennzeichen und alarmierten die Polizei. Wenig später hatten die Beamten das Fahrzeug ausgemacht, es kam zu einer Verfolgungsjagd durch das Marchfeld bis nach Wien. Auf der Südosttangente verlor die Polizei aber den BMW aus den Augen. Unterdessen stürmte ein Einsatzkommando die Wohnung des Zulassungsbesitzers, an der Adresse in Wien-Donaustadt war aber niemand anwesend. Die Frau gab an, dass sie mehrere Jahre in einen Keller gesperrt war.
Großfahndung nach Entführer
Eine von der Polizeiinspektion Deutsch-Wagram aus operierende Sonderkommission versuchte, die Angaben der jungen Frau zu überprüfen und gleichzeitig die umfangreichen Fahndungsmaßnahmen zu koordinieren. Nach bisherigem Wissensstand dürfte die Frau aus einem Auto geflüchtet sein. Anrainer alarmierten die Polizei, als sie die vorerst Unbekannte in einem Garten taumeln sahen. Als der mutmaßliche Täter die Szenerie gesehen hat, hat er die Flucht ergriffen und ist Richtung Wien davon gerast. Die Frau wurde umgehend auf die Polizeiinspektion gebracht. Den Beamten sagte sie: "Ich bin Natascha Kampusch."
Frau in keinem guten Zustand
Die Frau befand sich am Nachmittag auf der Polizeiinspektion Deutsch-Wagram. Dort wurde sie zunächst von Polizeibeamten befragt, ein Amtsarzt wurde hinzugezogen. "Wir müssen uns zunächst einmal darum kümmern, dass es der Frau besser geht." Sie sei, so weit für die Polizisten feststellbar, äußerlich unverletzt, aber sonst offenbar in keinem allzu guten Zustand.
DNA noch heute Nacht
Anhand des "genetischen Fingerabdrucks" soll festgestellt werden, ob es sich tatsächlich um die Vermisste handelt. Die Ergebnisse sollen schon innerhalb von etwa sechs bis sieben Stunden vorliegen, sagte Erich Zwettler vom Bundeskriminalamt. Ein anderer Sprecher der Sonderkommission rechnete mit eine Ergebnis noch in dieser Nacht.
Zeugen notierten Kennzeichen Zeugen hatten das Auto als roten BMW beschrieben und das Kennzeichen notiert. Nach einer Verfolgungsjagd von Strasshof durch das Marchfeld über die Wiener Südosttangente wurde der Wagen verlassen in Wien-Donaustadt gefunden.
Es ist alls auf den Beinen
"Wir haben den Ostraum Österreichs ziemlich gut abgedeckt, um zu verhindern, dass sich der Gesuchte durch einen Grenzübertritt ins Ausland absetzt", beschrieb Zwettler die Großfahndung. "Es ist alles auf den Beinen, mehrere hundert Beamte." Auch Hubschrauber wurden eingesetzt. Wie sich der Gesuchte fortbewegt, seit er sein Auto abgestellt hat, sei nicht bekannt.
Entführer hatte keinen Bezug zu Kind
Bei dem mutmaßlichen Entführer soll es sich um einen 44-jährigen Mann handeln, der entgegen ersten Meldungen keinen Bezug zu Natascha Kampusch gehabt haben soll, berichtete der ORF. Allerdings wurde der Mann bereits vor Jahren von der Polizei verhört.
Eltern sollen helfen
Die Eltern von Natascha wurden verständigt, sagte Armin Halm vom Bundeskriminalamt. Sie sollen bei der Identifizierung helfen. Seit dem frühen Abend wird die Frau von einer Kriminalbeamtin "zu Dingen befragt, die Natascha Kampusch wissen müsste", so Halm.
Die damals zehnjährige Natascha Kampusch war am 2. März 1998 in Wien-Donaustadt verschwunden. Sie hatte die elterliche Wohnung am Rennbahnweg 27 verlassen, um die Volksschule am Brioschiweg zu besuchen, war dort jedoch nie angekommen. Das Verschwinden Nataschas zählt zu den spektakulärsten Fällen der jüngsten Kriminalgeschichte.(APA, DER STANDARD Printausgabe 24.8.2006)