Condrosulf
Vor kurzem wurde in Österreich dieses Präparat registriert, das von einer Firma in Lugano (Italien) produziert wird. Es handelt sich um ein Gemisch aus Natriumchondroitinsulfaten, die aus Rindertrachea isoliert werden und ein durchschnittliches Molekulargewicht von 16 000 besitzen. Chondroitinsulfate sollen laut Austria Codex bei oraler Gabe resorbiert werden, in das Gelenk gelangen und dort bei degenerativen Erkrankungen chondroprotektiv wirken. In einer von Experten erstellten Monographie des Deutschen Bundesgesundheitsamtes (1) wird festgestellt: "Angesichts fehlender Nachweise zur therapeutischen Wirksamkeit in den beanspruchten Anwendungsgebieten sowie aufgrund fehlender Untersuchungen zur Unbedenklichkeit muß die Anwendung von Chondroitinsulfat-Gemisch-Natriumsalz abgelehnt werden."
Es sei im folgenden analysiert, ob diesem negativem Urteil aufgrund der von der Firma zur Verfügung gestellten Unterlagen beizupflichten ist. Leider sind nahezu die gesamten Daten entweder unveröffentlicht oder nur in Symposiumbänden erschienen. Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, daß nur Publikationen in einer redigierten (peer review) Zeitschrift eine verläßliche Grundlage darstellen. Diese Art der öffentlichen Publikation setzt die Autoren auch der wissenschaftlichen Kritik aus, was die Veröffentlichung unverläßlicher oder unfertiger Daten deutlich reduziert.
Wird oral zugeführtes Condrosulf intakt (also als komplexes Chondroitinsulfat) resobiert? Diese Frage wurde im wesentlichen nur von einer Gruppe untersucht. Nach oraler Gabe am Menschen (3 g), steigt im Blut der Spiegel eines Aminozuckers, der im Chondroitinsulfat enthalten ist, an (von einem Basalwert von 7.9 ug auf ca. das Doppelte). Die Daten belegen aber nicht, daß Chondroitinsulfat intakt resorbiert wird, im Plasma liegt der Großteil niedermolekular vor (2). Bei der Gabe von klinisch verwendeten niederen Dosen (800 mg) verändert sich der Blutspiegel dieses Zuckers nur von 6.9 auf ca. 9 ug/ml, wobei nicht einmal ersichtlich ist, ob dies überhaupt einen signifikanten Anstieg darstellt (Symposiumbericht der gleichen Gruppe). Die gleiche Gruppe studierte auch die Aufnahme von radioaktiv (3H) markiertem Chondroitinsulfat (4). Radioaktivität war im Blut nachweisbar, es wurde aber nicht festgestellt, ob das intakte Molekül resorbiert und auch als solches im Blut vorliegt oder ob zuerst ein Abbau im Darm erfolgte und z.B. nur markierter Zucker resorbiert wird, um dann im Organismus in größere Moleküle eingebaut zu werden (4). Auch die wiederholt zitierte Behauptung, daß resorbiertes Chondroitinsulfat gezielt (Tropismus) in die Synovia und Knorpel der Gelenke geht, ist durch diese Daten keineswegs belegt, da nur eine durch alle Gewebe gehende Verteilung der Radioaktivität festgestellt wurde, ohne daß die dafür verantwortlichen Moleküle ausreichend charakterisiert wurden. Diese Daten belegen also nicht, daß Chondroitinsulfat als intaktes Molekül resorbiert wird, daß es einen signifikanten Anstieg der endogen vorhandenen molekularen Bausteine für Chondroitinsulfate bewirkt oder gar die resorbierten Moleküle gezielt in die Gelenke gelangen.
In vitro hat Chondroitinsulfat in hoher Konzentration von 5-10 ug/ml verschiedene Effekte auf Leukozyten etc. (5: Symposiumsbericht der gleichen Gruppe), dies ist aber für solch stark geladene Verbindungen (SO4-Gruppen) nicht verwunderlich. Für die Behauptung, daß oral zugeführtes Chondroitinsulfat pathophysiologisch relevante Effekte auf Gelenke hat, konnten wir keine verläßlichen Daten finden. So wurde behauptet, daß es die Aktivität lysosomaler Enzyme in der Synovialflüssigkeit hemmt. Nach 10 Tagen Behandlung war der Wert in der behandelten Gruppe zwar niedriger als der Ausgangswert, aber letztlich gleich hoch wie der der Kontrollgruppe (3).
Die klinischen Studien über Chondroitinsulfat erlauben keine positive Aussage. Keine einzige Studie ist in einer ernstzunehmenden Zeitschrift veröffentlicht. Mängel sind offensichtlich. So nahmen in einer Studie nach zwei Jahren von den untersuchten 34 Patienten nur noch 17 teil (6), in einer anderen Studie (7) fielen 17% der behandelten Patienten aus (ohne Angabe von Gründen: daher Ausfall wegen mangelnder Wirksamkeit nicht ausgeschlossen), in einer weiteren Studie fehlen wieder 3 von 21 der behandelten Gruppe (8: auch ohne Angabe von Gründen). In 3 anderen Studien wurden zwar statistisch signifikante Effekte gesehen, die Resultate waren aber uneinheitlich oder zu limitiert. In einer von diesen Studien wurde durch die Chondroitinsulfatgabe der zusätzliche Paracetamolverbrauch nicht signifikant, der von nicht steroidalen Antiphlogistika nur vorübergehend gerade noch signifikant reduziert (8). In einer anderen unveröffentlichten Studie (Chantraine et al.,) waren die meisten Parameter signifikant verändert, in einer weiteren (Merlin et al., allerdings auch unveröffentlicht) waren zwar subjektive Kriterien verbessert, aber 9 von 10 objektiven Kriterien zeigten keinen positiven Effekt von Chondroitinsulfat.
Zusammenfassung: Wir haben versucht, kritisch ein neu registriertes Präparat zu bewerten. Um die Kritik nachvollziehbar zu machen, haben wir wieder einmal den relativ mühsamen Weg gewählt, die vorhandenen Unterlagen im Detail zu diskutieren. Die Analyse der Daten bestätigt aber nur das Urteil der oben zitierten Monographie. Es ist nicht einmal annähernd belegt, daß Chondroitinsulfat als intaktes Molekül resorbiert wird, signifikant zu den endogen vorhandenen Spiegeln dieser Verbindung beiträgt und klinisch positive Effekte hat. Die etwas naiv erscheinende Idee, daß Zufuhr von im Gelenk konzentrierten organischen Bausteinen positive Effekte für degenerative Erkrankungen haben kann, erwies sich schon bei anderen Chondroprotektiva als Fehlschlag (z.B. dem Mucopolysaccharid Arteparon: wegen anaphylaktischer Reaktion von Markt genommen: Pharmainfo VII/4/1992 und dem Knorpelextrakt Rumalon: in Deutschland vom Markt genommen: Pharmainfo IX/4/1994). Allerdings waren diese intraartikulär bzw. intramuskulär zu injizierenden Präparate besonders wegen schwerer allergischer Reaktionen problematisch. Da Chondroitinsulfat oral gegeben wird, sind gefährliche allergische Nebenwirkungen eher nicht zu erwarten, dafür ist es äußerst fraglich, ob diese Stoffe jemals die Gelenke in signifikanter Menge erreichen.