hallo allerseits,
habe die diskussion bis hierhin verfolgt und wollte gerne meinen senf dazu schreiben. (sorry, das wird etwas lange.

)
wie schon von anderen geschrieben, wird "dominanz" (zumindest besteht darin in der wissenschaft einigkeit) als eine verhaltensweise bezeichnet, die zwischen zwei oder mehreren individuen passiert. ein hund kann also nur dominant in einer bestimmten beziehung zu anderen hunden oder individuen sein. ein "dominanter hund" als solcher existiert also nicht. er kann nur in sehr vielen beziehungen dominant sein, also erfolgreich in der durchsetzung seiner interessen sein.
führt uns gleich zu frage zwei: was meinen wir denn jetzt genau mit dominanz? james o'heare diskutiert in seinem buch "die dominanztheorie bei hunden. eine wissenschaftliche betrachtung" (2005) viele definitionen. die reichen von erfolgreich in der fortpflanzung; dominanz als gleichgesetzt mit aggressivität; dominanz, die den rang ausdrückt; ständiger gewinner in auseinandersetzungen; gewinner in einem bestimmten kontext; dominanz als durchsetzung ohne aggression; dominanz als zugang zu ressourcen; und die gute alte hackordnung. also was genau ist gemeint? was ist ein dominanter hund? einer der bei allen hundebegegnungen als der überlegene hervorgeht? einer der sein futter erfolgreich verteidigt? einer der futter, spielzeug, liegeplätze etc. erfolgreich verteidigt?
weiters ist es falsch, dominanz mit aggressivität gleichzusetzen. so wie metchley gerade beschrieben hat, muss sich ein hund in beziehungen nicht notwendigerweise durch aggressivität und "lautstarke ausdrucksweise" durchsetzen. aggressivität ist nur eine von mehreren möglichkeiten.
das führt zum nächsten, nämlich führungspersönlichkeiten. denn eigentlich wollten wir in unserem umgang mit unserem hund doch das sein: eine gute führungspersönlichkeit, der unser woff gerne und bereitwilligt folgt. wie agiert eine solche? ich bezeichne solche personen als welche mit natürlicher autorität. sprich, sie strahlen selbstbewußtsein aus, bauen auf vertrauen und verständnis, und brauchen keine kämpferischen auseinandersetzungen. auch unter hunden gibt es solche "natürliche autoritäten", habe solche schon eindrucksvoll erlebt.
aber zurück zur dominanz. abgesehen von der beschreibung einer situation, was würde es denn helfen, wenn man einen hund als dominant deklariert?
mögliche antwort #1: damit ich sein zukünftiges verhalten voraussagen kann.
james o'heare sagt dazu: "... bei vielen tierarten, einschließlich hunden, dominanz kontextabhängig sein kann und sich im laufe der zeit auch verändern kann (rollentausch), was allgemeine prognosen und zuverlässige langzeitvorhersagen unwahrscheinlich macht." (o'heare p. 36) und weiter: die beziehungen ändern "sich je nach kontext und der relativen, individuellen motivation eines jeden tieres." (o'heare p. 62)
ein hund kann also seinen knochen verteidigen, weil er gerade hungrig ist, das sofa mag ihm aber nicht wichtig sein. ebenso kann der gleich knochen drei stunden später nicht mehr so wichtig sein, und woff erhebt keinen anspruch mehr darauf. ... mit der vorhersagbarkeit kommt man also nicht weit.
außerdem hat jeder hund das recht, ihm wichtige ressourcen zu verteidigen - ganz unabhängig von seinem "rangstatus" (nehmen wir das wort jetzt einfach mal so). anders hallgren sagt in seinem buch "das alpha-syndrom" (2006) dazu: "wer eine wertvolle ressource hat oder am nächsten an ihr dran ist, "besitzt" sie - ungeachtet des status oder des ranges im verhältnis zu den anderen in der gruppe. selbst ein hund, der im rangstatus ganz weit unten angesiedelt ist, darf seine nahrung oder einen knochen intensiv vor einem anderen rudelmitglied verteidigen. diese verziehen sich und lassen den drohenden in ruhe, selbst wenn sie in einer anderen situation offenbar dominant sind." (hallgren p. 74)
also wozu brauchen wir das label "dominanz"? mögliche antwort #2: wenn ich weiß, dass ich meinen hund als "dominant" attestiert habe, dann weiß ich, wie ich mich zu verhalten habe. und dann kommen die tipps à la darf nicht zuerst essen, darf nicht zuerst durch die türe, darf nicht erhöht liegen etc.
dazu gibt es schon genug literatur, die beweist, dass diese "trainingstipps" völlig wertlos sind und nicht zur lösung eines problems beitragen. denn "natürliche autorität" kann man nicht durch solche künstlichen aktionen "kaufen". trotzdem mögen solche aktionen in oberflächlicher betrachtung erfolgreich sein. meistens ist das aber nur ein ergebnis von erstmals klarer und konsequenter kommunikation zwischen besitzer/in und hund.
in summe also hilft es also in der problemlösung überhaupt nicht, einen hund als "dominant" zu stempeln und dann (sorry für eine überspitzte formulierung) "in die apotheke zu gehen und das anti-dominanz mittel zu kaufen". im gegenteil, diese denkweise verhindert eine klare sicht auf die situation und bringt emotionen ins spiel, die alles nur noch schwieriger machen.
dazu wieder ein zitat von o'heare: "ebenso neigt ein hundetrainer, der ein anhänger der dominanztheorie ist, dazu, in jedem vom ihm beobachteten hundeverhalten dominanz zu sehen. [...] ebenso zeigt die wissenschaft, dass die dominanztheorie in vielen kontexten ebenfalls nicht anwendbar ist." (o'heare p. 55)
und später das wohl beste zitat in diesem zusammenhang: "die dominanztheorie hat in einem aggressiven und von konfrontationen gekennzeichneten wettlauf um die position des "alphas" oder des "rudelführers" menschen gegen hunde kämpfen lassen. hundebesitzer wurden überzeugt, dass die meisten natürlichen verhaltensweisen von hunden anzeichen dafür sind, dass der hund einen "regierungswechsel" anstrebt und durch einen umsturz die führung der familie übernehmen möchte. [...] für den hund sind solche von konfrontation und aggressivität geprägten beziehungen üblicherweise gleichbedeutend mit einer lebensgeschichte, die durch fehlende sicherheit gekennzeichnet ist. zudem wird die bindung zwischen hund und besitzer zerstört.
wie können sie ein tier lieben, von dem sie überzeugt sind, dass es versucht, sie vom thron zu stoßen, und das nur bestrebt ist, der "boss" zu sein?" (o'heare p. 56f)
abschließend, ist also der hund im gefragten ausgangspost dominant? oder der hund, der im kofferraum knurrt? eine antwort von o'heare: "viele hunde lernen, erfolglose besitzer zu umgehen, um ihre appentenzanforderungen zu erfüllen. [...] diese hunde werden oft als "dominant" angesehen, obwohl sie einfach durch operante konditionierung gelernt haben, ihre umgebung so zu manipulieren, dass sie zufriedenheit erlangen." (o'heare p. 68)
lg rübe (und sorry für die vielen zitate ... aber ich fand sie so passend!)