Leia
Profi Knochen
Amüsanter Artikel in der deutschen Tageszeitung "Die Zeit":
http://www.zeit.de/2011/08/A-Tierschuetzer?page=1
Fast wie bei Kafka
Vor dem Landesgericht Wiener Neustadt sind 13 Tierschützer angeklagt – ein bizarrer Prozess
Den Zugang zum Gesetz bewacht ein unerbittlicher Türhüter mit dünnem Tatarenbart. In dieser Parabel von Franz Kafka findet niemand Gnade vor dem Riesen im dicken Pelz. Am Landesgericht Wiener Neustadt ist es ein Justizbeamter in graublauem Strickpullover, der den Zugang der Berichterstatter zum Verhandlungssaal kontrolliert.
Anzeige
»Ja wo hamma denn das wieder hingelegt«, murmelt der Gerichtsbedienstete. Seine bunte Kaffeetasse stellt er nicht ab, während er herumkramt: »Wo ist denn das Kuvert mit den Platzkarten.« Eilig hat es der Mann nicht, im Gegensatz zu der Journalistin, die Einlass begehrt. Sie möchte längst im Gerichtssaal sitzen, den Laptop aufgeklappt und die ersten Zeilen ihres Online-Live-Tickers eingetippt haben. Irgendwo harrt bereits eine treue Lesergemeinde der skurrilen Wortwechsel, die sie gleich im Fünfminutentakt durch das Internet jagen wird.
Nichts da – zuvor gilt es, an jedem Verhandlungstag eine bürokratische Prozedur in den Räumlichkeiten des Gerichtspräsidiums zu absolvieren. Während in der größten Wirtschaftsstrafsache der Nation, dem Bawag-Prozess, die Medienleute ungehindert im Verhandlungssaal ein- und ausspazieren konnten, wird in Wiener Neustadt bei der Verhandlung gegen 13 Tierschützer besonders penibel kontrolliert. »Es ist eben ein außergewöhnlicher Prozess«, pflegt Richterin Sonja Arleth zu sagen. Recht hat sie.
Seit einem Jahr wird in dem kleinen Landesgericht, am Rande des Stadtparks mit Streichelzoo und Bärengehege gelegen, in kafkaesker Dramaturgie zu ergründen versucht, ob es sich bei den angeklagten Tierrechtsaktivisten um die gefährlichsten Bürger der Republik handelt – um eine kriminelle Organisation, die Druck auf Politik und Wirtschaft ausüben konnte, dabei vor brutalen Methoden nicht zurückgeschreckt und in hohem Maße konspirativ gearbeitet hat. Und zwar so konspirativ, dass sogar die Polizei trotz Lauschangriff und eingeschleusten Spitzeln keinen kriminellen Tatbestand entdecken konnte. Ob das vielleicht daran liege, dass es nichts zu finden gab? Unmöglich, meint der Staatsanwalt: Die rauchenden Pistolen seien einfach nur zu gut versteckt worden.
Die Richterin fordert Pünktlichkeit und kommt selbst gern zu spät
Richterin Sonja Arleth erweckt den Eindruck, als hielte sie diese Theorie zumindest für plausibel. Auch am 64. Verhandlungstag der Justizfarce scheint sie sich für allerlei zu interessieren, nur nicht für Straftaten. Eine Zeugin, die das Protokoll Danielle Durand nennt, ist geladen. Die Polizistin mit französischem Decknamen und steirischem Zungenschlag schnüffelte 16 Monate lang als verdeckte Ermittlerin in der Tierrechtsszene, schmauste mit den vermeintlichen Kriminellen Sojasteaks, ging mit zum Nacktbaden und auf Demos oder sabotierte mit ihren neuen Freunden Jagdgesellschaften. Heraus fand sie – nichts.
Eigentlich sollte Durand bei ihrer Aussage im Zentrum des Schwurgerichtssaals Platz nehmen. Am kleinen Zeugentisch mit dem Rücken zum Publikum und dem Blick auf die Richterin. Doch der Zeugentisch bleibt leer. Stattdessen bekommen Tribunal und Zuhörer von Durand nur ein blasses Bild auf einer Leinwand zu sehen: Eine stämmige Frau mit etwas steifer Körperhaltung, dürftig getarnt unter einer schwarzen Langhaarperücke, an deren Seite die Richterin in ihren schwarz-violetten Talar gehüllt Platz nimmt. Die Ermittlerin wird in einem Nebenraum einvernommen, eine Schutzmaßnahme, die sonst Opfern sexuellen Missbrauchs vorbehalten ist. Für Durand, die im Brotberuf als Spitzel im Drogenmilieu verkehrt, sei es »psychisch belastend«, den Angeklagten gegenübertreten zu müssen, behaupten ihre Vorgesetzten.
Ein Verteidiger fragt die Zeugin im Justizseparee: »Haben Sie Angst vor mir?« – »Nein«, entgegnet die Stimme aus dem Lautsprecher. Der Anwalt grinst. »Solche Fragen kann ich nicht zulassen«, zürnt die Richterin und wendet sich selbst an die Auskunftsperson: »Ich hatte den Eindruck, dass Sie vor Ihrer Einvernahme angespannt waren und geradezu wie eine Pagode dagestanden sind, stimmt das?« Es braucht mehrere solcher Suggestivfragen, bis endlich die gewünschte Antwort ertönt: »Nein, ich fühle mich nicht in der Lage, im Saal befragt zu werden.« Unruhe im Publikum. Ein Verteidiger hebt resigniert die Arme, andere schütteln den Kopf. Einige Angeklagte brechen in Gelächter aus. Höhepunkt der langatmigen Befragung ist dann die fast sokratische Auskunft der Spitzelkraft: »Das weiß ich nicht, und wenn ich es weiß, dann steht es in meinem Bericht.«
Sonja Arleth hält diesen kreativen Umgang mit der Verpflichtung zur Zeugenaussage für völlig normal. Sie kann auch nicht nachvollziehen, warum die fünf Verteidiger beklagen, wieder einmal seien achtzig Prozent ihrer Fragen unbeantwortet geblieben. »Die Verteidiger tragen zur Verzögerung dieses Verfahrens bei, indem sie immer wieder dieselben Fragen stellen«, schnaubt sie dann. An schlechten Tagen fügt sie noch hinzu: »Zulasten der Ressourcen der Republik Österreich.«
Sie selbst verliert sich gerne in Monologen. Einmal rezitiert sie vierzig Minuten lang aus einer Zeitschrift. »Sehr interessant!«, befindet sie abschließend. Ohne Überleitung wechselt sie sofort zum nächsten Thema. Immer wieder unterbricht sie Verteidiger oder Angeklagte mitten im Satz und gewährt eine »Toilettenpause«. Sie mahnt zur Pünktlichkeit, kommt jedoch selbst zu spät.
Ganz leicht hat es die Richterin freilich nicht. Vor ihr sitzen keine reumütigen Verbrecher, sondern vorlaute Doppeldoktoren in Baggy-Hosen, die gerne mal aus Goethes Faust oder der Strafprozessordnung zitieren und die den eigenen Verteidigern das Heft aus der Hand nehmen. Angeklagte, die vor Gericht aus ihren garantiert lederfreien Sneakers schlüpfen, während der Beweisaufnahme Jausenbrote mit Sojaaufstrich mampfen und auch nach fast einem Jahr Verhandlungsdauer immer noch darauf zählen können, dass jede Menge Sympathisanten mit teils buntgefärbten Haaren sich frühmorgens verlässlich auf den Weg nach Wiener Neustadt machen und dann häufig im Gerichtssaal ihre Gefühlsregungen nicht für sich behalten können.
Die Richterin hat ihre eigene Methode entwickelt, damit umzugehen. Nach Art einer Volksschullehrerin weist sie die Angeklagten zurecht, rügt, wenn sie eine Zeitung aufzuschlagen wagen. »Missbilligende Blicke« und »emotionale Fragen« duldet sie keinesfalls. Gegen Publikumsreaktionen hat sich wie von Geisterhand eine Lösung gefunden: An jedem Verhandlungsmorgen belegen die hinteren Bankreihen mehrere Dutzend Polizeischüler. Dem zornigen Einspruch der Angeklagten, es würden hier bewusst Plätze besetzt, um eine kritische Öffentlichkeit auszusperren, entgegnet Arleth gelassen: Das Verfahren sei öffentlich, und wer diese Öffentlichkeit repräsentiere, sei ihr gleichgültig. Die Polizeischüler kichern nie, murren nicht, sondern widmen sich hauptsächlich den Spiele-Applikationen ihrer Smartphones.
Stets anzutreffen ist im Gerichtssaal eine weißhaarige Dame im Trachtengilet. Josefine J. versorgt die Angeklagten Tag für Tag mit frischen, selbstverständlich veganen Mehlspeisen. Zu Beginn dieser Woche, am 69. Verhandlungstag, steht die pensionierte Lehrerin plötzlich für einen Augenblick im Mittelpunkt des Prozessgeschehens. Die Richterin fordert von einem Angeklagten, er möge seinen Laptop zuklappen. Es folgt ein 15 Minuten langes Rededuell zwischen Richtertisch und Anklagebank: »Schließen Sie den Laptop« – » Nein« – »Doch« – »Und wenn nicht?« Schließlich lenkt der Störenfried wie ein hinterfotziger Schuljunge ein: »Na gut. Aber ich tu es nicht für Sie, sondern für die Frau J., die gesagt hat, ich soll folgen.«
Wer ein Mastschwein befreit, macht sich der Tierquälerei schuldig
Bisweilen gemahnt die Verhandlung an die Rollenverteilung, die am Mittagstisch einer Familie in den fünfziger Jahren geherrscht haben mag. Hier die ungezogenen Kinder, da die erschöpfte Mutter, die oft tadelt, dabei aber stets unsicher zum Vater blickt, doch der, die moralische Instanz, bleibt stumm. Die Rolle des Vaters spielt in Wiener Neustadt Staatsanwalt Wolfgang Handler, ein finster dreinblickender Geselle in seinen Mittvierzigern. Zumeist versinkt er während der Zeugenbefragungen hinter seinem massiven Computermonitor. Nur hin und wieder bittet ihn die Richterin um seine Einschätzung. Dann bäumt er sich auf, antwortet kurz angebunden mit kräftiger Stimme, verstummt wieder und taucht ab.
Dabei ist er es, der dem Verfahren die absurden Grundzüge verleiht. Dass ein Tierschützer wegen Tierquälerei anklagt ist, weil er Schweine befreit haben soll, dass verschlüsselte E-Mails als unwiderlegbarer Hinweis auf kriminelle Machenschaften dienen, dass ein Großteil der ursprünglichen Vorwürfe mangels Beweisen verworfen werden müssen, das Konstrukt einer kriminellen Organisation aber weiterhin aufrecht erhalten wird – das alles trägt die Handschrift von Wolfgang Handler.
»Es ist eben ein Organisationsdelikt«, erklärt Sonja Arleth. Anders gesagt: Nicht konkrete Straftaten zählen, sondern die Frage, wer mit wem wann zum Frühstück ging oder E-Mails wechselte. So gilt bald jeder noch so knappe Informationsaustausch als glasklares Indiz. Die Richterin zitiert den SMS-Verkehr eines Angeklagten, der als Hinweis auf dessen »konspiratives Verhalten« zu werten sei. Der Text: »Got Mail«. – Die Antwort: »Ok«.
http://www.zeit.de/2011/08/A-Tierschuetzer?page=1
Fast wie bei Kafka
Vor dem Landesgericht Wiener Neustadt sind 13 Tierschützer angeklagt – ein bizarrer Prozess
Den Zugang zum Gesetz bewacht ein unerbittlicher Türhüter mit dünnem Tatarenbart. In dieser Parabel von Franz Kafka findet niemand Gnade vor dem Riesen im dicken Pelz. Am Landesgericht Wiener Neustadt ist es ein Justizbeamter in graublauem Strickpullover, der den Zugang der Berichterstatter zum Verhandlungssaal kontrolliert.
Anzeige
»Ja wo hamma denn das wieder hingelegt«, murmelt der Gerichtsbedienstete. Seine bunte Kaffeetasse stellt er nicht ab, während er herumkramt: »Wo ist denn das Kuvert mit den Platzkarten.« Eilig hat es der Mann nicht, im Gegensatz zu der Journalistin, die Einlass begehrt. Sie möchte längst im Gerichtssaal sitzen, den Laptop aufgeklappt und die ersten Zeilen ihres Online-Live-Tickers eingetippt haben. Irgendwo harrt bereits eine treue Lesergemeinde der skurrilen Wortwechsel, die sie gleich im Fünfminutentakt durch das Internet jagen wird.
Nichts da – zuvor gilt es, an jedem Verhandlungstag eine bürokratische Prozedur in den Räumlichkeiten des Gerichtspräsidiums zu absolvieren. Während in der größten Wirtschaftsstrafsache der Nation, dem Bawag-Prozess, die Medienleute ungehindert im Verhandlungssaal ein- und ausspazieren konnten, wird in Wiener Neustadt bei der Verhandlung gegen 13 Tierschützer besonders penibel kontrolliert. »Es ist eben ein außergewöhnlicher Prozess«, pflegt Richterin Sonja Arleth zu sagen. Recht hat sie.
Seit einem Jahr wird in dem kleinen Landesgericht, am Rande des Stadtparks mit Streichelzoo und Bärengehege gelegen, in kafkaesker Dramaturgie zu ergründen versucht, ob es sich bei den angeklagten Tierrechtsaktivisten um die gefährlichsten Bürger der Republik handelt – um eine kriminelle Organisation, die Druck auf Politik und Wirtschaft ausüben konnte, dabei vor brutalen Methoden nicht zurückgeschreckt und in hohem Maße konspirativ gearbeitet hat. Und zwar so konspirativ, dass sogar die Polizei trotz Lauschangriff und eingeschleusten Spitzeln keinen kriminellen Tatbestand entdecken konnte. Ob das vielleicht daran liege, dass es nichts zu finden gab? Unmöglich, meint der Staatsanwalt: Die rauchenden Pistolen seien einfach nur zu gut versteckt worden.
Die Richterin fordert Pünktlichkeit und kommt selbst gern zu spät
Richterin Sonja Arleth erweckt den Eindruck, als hielte sie diese Theorie zumindest für plausibel. Auch am 64. Verhandlungstag der Justizfarce scheint sie sich für allerlei zu interessieren, nur nicht für Straftaten. Eine Zeugin, die das Protokoll Danielle Durand nennt, ist geladen. Die Polizistin mit französischem Decknamen und steirischem Zungenschlag schnüffelte 16 Monate lang als verdeckte Ermittlerin in der Tierrechtsszene, schmauste mit den vermeintlichen Kriminellen Sojasteaks, ging mit zum Nacktbaden und auf Demos oder sabotierte mit ihren neuen Freunden Jagdgesellschaften. Heraus fand sie – nichts.
Eigentlich sollte Durand bei ihrer Aussage im Zentrum des Schwurgerichtssaals Platz nehmen. Am kleinen Zeugentisch mit dem Rücken zum Publikum und dem Blick auf die Richterin. Doch der Zeugentisch bleibt leer. Stattdessen bekommen Tribunal und Zuhörer von Durand nur ein blasses Bild auf einer Leinwand zu sehen: Eine stämmige Frau mit etwas steifer Körperhaltung, dürftig getarnt unter einer schwarzen Langhaarperücke, an deren Seite die Richterin in ihren schwarz-violetten Talar gehüllt Platz nimmt. Die Ermittlerin wird in einem Nebenraum einvernommen, eine Schutzmaßnahme, die sonst Opfern sexuellen Missbrauchs vorbehalten ist. Für Durand, die im Brotberuf als Spitzel im Drogenmilieu verkehrt, sei es »psychisch belastend«, den Angeklagten gegenübertreten zu müssen, behaupten ihre Vorgesetzten.
Ein Verteidiger fragt die Zeugin im Justizseparee: »Haben Sie Angst vor mir?« – »Nein«, entgegnet die Stimme aus dem Lautsprecher. Der Anwalt grinst. »Solche Fragen kann ich nicht zulassen«, zürnt die Richterin und wendet sich selbst an die Auskunftsperson: »Ich hatte den Eindruck, dass Sie vor Ihrer Einvernahme angespannt waren und geradezu wie eine Pagode dagestanden sind, stimmt das?« Es braucht mehrere solcher Suggestivfragen, bis endlich die gewünschte Antwort ertönt: »Nein, ich fühle mich nicht in der Lage, im Saal befragt zu werden.« Unruhe im Publikum. Ein Verteidiger hebt resigniert die Arme, andere schütteln den Kopf. Einige Angeklagte brechen in Gelächter aus. Höhepunkt der langatmigen Befragung ist dann die fast sokratische Auskunft der Spitzelkraft: »Das weiß ich nicht, und wenn ich es weiß, dann steht es in meinem Bericht.«
Sonja Arleth hält diesen kreativen Umgang mit der Verpflichtung zur Zeugenaussage für völlig normal. Sie kann auch nicht nachvollziehen, warum die fünf Verteidiger beklagen, wieder einmal seien achtzig Prozent ihrer Fragen unbeantwortet geblieben. »Die Verteidiger tragen zur Verzögerung dieses Verfahrens bei, indem sie immer wieder dieselben Fragen stellen«, schnaubt sie dann. An schlechten Tagen fügt sie noch hinzu: »Zulasten der Ressourcen der Republik Österreich.«
Sie selbst verliert sich gerne in Monologen. Einmal rezitiert sie vierzig Minuten lang aus einer Zeitschrift. »Sehr interessant!«, befindet sie abschließend. Ohne Überleitung wechselt sie sofort zum nächsten Thema. Immer wieder unterbricht sie Verteidiger oder Angeklagte mitten im Satz und gewährt eine »Toilettenpause«. Sie mahnt zur Pünktlichkeit, kommt jedoch selbst zu spät.
Ganz leicht hat es die Richterin freilich nicht. Vor ihr sitzen keine reumütigen Verbrecher, sondern vorlaute Doppeldoktoren in Baggy-Hosen, die gerne mal aus Goethes Faust oder der Strafprozessordnung zitieren und die den eigenen Verteidigern das Heft aus der Hand nehmen. Angeklagte, die vor Gericht aus ihren garantiert lederfreien Sneakers schlüpfen, während der Beweisaufnahme Jausenbrote mit Sojaaufstrich mampfen und auch nach fast einem Jahr Verhandlungsdauer immer noch darauf zählen können, dass jede Menge Sympathisanten mit teils buntgefärbten Haaren sich frühmorgens verlässlich auf den Weg nach Wiener Neustadt machen und dann häufig im Gerichtssaal ihre Gefühlsregungen nicht für sich behalten können.
Die Richterin hat ihre eigene Methode entwickelt, damit umzugehen. Nach Art einer Volksschullehrerin weist sie die Angeklagten zurecht, rügt, wenn sie eine Zeitung aufzuschlagen wagen. »Missbilligende Blicke« und »emotionale Fragen« duldet sie keinesfalls. Gegen Publikumsreaktionen hat sich wie von Geisterhand eine Lösung gefunden: An jedem Verhandlungsmorgen belegen die hinteren Bankreihen mehrere Dutzend Polizeischüler. Dem zornigen Einspruch der Angeklagten, es würden hier bewusst Plätze besetzt, um eine kritische Öffentlichkeit auszusperren, entgegnet Arleth gelassen: Das Verfahren sei öffentlich, und wer diese Öffentlichkeit repräsentiere, sei ihr gleichgültig. Die Polizeischüler kichern nie, murren nicht, sondern widmen sich hauptsächlich den Spiele-Applikationen ihrer Smartphones.
Stets anzutreffen ist im Gerichtssaal eine weißhaarige Dame im Trachtengilet. Josefine J. versorgt die Angeklagten Tag für Tag mit frischen, selbstverständlich veganen Mehlspeisen. Zu Beginn dieser Woche, am 69. Verhandlungstag, steht die pensionierte Lehrerin plötzlich für einen Augenblick im Mittelpunkt des Prozessgeschehens. Die Richterin fordert von einem Angeklagten, er möge seinen Laptop zuklappen. Es folgt ein 15 Minuten langes Rededuell zwischen Richtertisch und Anklagebank: »Schließen Sie den Laptop« – » Nein« – »Doch« – »Und wenn nicht?« Schließlich lenkt der Störenfried wie ein hinterfotziger Schuljunge ein: »Na gut. Aber ich tu es nicht für Sie, sondern für die Frau J., die gesagt hat, ich soll folgen.«
Wer ein Mastschwein befreit, macht sich der Tierquälerei schuldig
Bisweilen gemahnt die Verhandlung an die Rollenverteilung, die am Mittagstisch einer Familie in den fünfziger Jahren geherrscht haben mag. Hier die ungezogenen Kinder, da die erschöpfte Mutter, die oft tadelt, dabei aber stets unsicher zum Vater blickt, doch der, die moralische Instanz, bleibt stumm. Die Rolle des Vaters spielt in Wiener Neustadt Staatsanwalt Wolfgang Handler, ein finster dreinblickender Geselle in seinen Mittvierzigern. Zumeist versinkt er während der Zeugenbefragungen hinter seinem massiven Computermonitor. Nur hin und wieder bittet ihn die Richterin um seine Einschätzung. Dann bäumt er sich auf, antwortet kurz angebunden mit kräftiger Stimme, verstummt wieder und taucht ab.
Dabei ist er es, der dem Verfahren die absurden Grundzüge verleiht. Dass ein Tierschützer wegen Tierquälerei anklagt ist, weil er Schweine befreit haben soll, dass verschlüsselte E-Mails als unwiderlegbarer Hinweis auf kriminelle Machenschaften dienen, dass ein Großteil der ursprünglichen Vorwürfe mangels Beweisen verworfen werden müssen, das Konstrukt einer kriminellen Organisation aber weiterhin aufrecht erhalten wird – das alles trägt die Handschrift von Wolfgang Handler.
»Es ist eben ein Organisationsdelikt«, erklärt Sonja Arleth. Anders gesagt: Nicht konkrete Straftaten zählen, sondern die Frage, wer mit wem wann zum Frühstück ging oder E-Mails wechselte. So gilt bald jeder noch so knappe Informationsaustausch als glasklares Indiz. Die Richterin zitiert den SMS-Verkehr eines Angeklagten, der als Hinweis auf dessen »konspiratives Verhalten« zu werten sei. Der Text: »Got Mail«. – Die Antwort: »Ok«.