Ladyhawke
Medium Knochen
Chronologie eines erfundenen Skandals
Viel Wirbel um Nessi: Eine Geschichte über selbst ernannte Tierschützer,
einen Skandal, den es nicht gab, und eine junge Frau, die instrumentalisiert
wurde.
VON ROBIN BLANCK
«Meine Hündin wurde von Amts wegen regelrecht verschleppt!», hiess es im
ersten Mail, das die junge Besitzerin der eingezogenen Rottweilerhündin am
24. Oktober an sieben Redaktionen in der Schweiz versandte, darunter an die
der SN. Diese längere Mitteilung bildet den Ausgangspunkt für eine Hysterie,
die mit der Entführung des Tieres und vermutlich mit einem Gerichtsverfahren
enden wird.
Zuerst ahnungs- und harmlos
In dieser ersten Mitteilung gab sich die Besitzerin weitgehend ahnungslos,
Grundtenor: Aufgrund einer Falschaussage eines anderen Hundebesitzers sei
der Rottweiler «beschlagnahmt worden». Der Hund habe aber «wohlverstanden
noch nie einen Menschen oder ein anderes Tier angegriffen». Von
«Beamtenwillkür» ist da die Rede und auch vor Vergleichen mit dem Naziregime
wird nicht zurückgeschreckt: «Dieselbe Situation gab es schon einmal in den
Dreissigerjahren. Damals hat man ebenfalls dasselbe Unrecht an unschuldigen
Menschen begangen!» Ob die junge Hundebesitzerin diesen Text noch selbst
verfasst hat oder ob bereits die selbst ernannte Tierschützerin Z. aus dem
Kanton St. Gallen das Zepter übernommen hat, ist nicht klar, die Tonalität
ist aber bereits reichlich angriffig und gleicht anderen Wortmeldungen von
Z.
Relativierte Aussagen
Erste Rückfragen bei der Hundehalterin zum Sachverhalt relativieren manche
der Aussagen und werfen ein neues Licht auf den Fall: Es war damals sehr
wohl klar, wo der Hund war, und auch Besuche waren der Besitzerin erlaubt.
Zudem lag der Wesenstest damals schon fast zwei Wochen zurück, die
entsprechende Verfügung war eine Woche alt. Ein klärendes Gespräch mit der
Anwältin der Hundebesitzerin war zu diesem Zeitpunkt unmöglich, doch die
Geschichte fiel in einer anderen Redaktion auf fruchtbaren Boden: In seiner
Ausgabe vom 2. November titelte der «Bock»: «Schuldlos in der Todeszelle»,
auf der Frontseite.
Auftritt der «Todeszelle»
Auch da finden wir den oben zitierten Satz im Original: «Sie wurde von Amts
wegen regelrecht verschleppt», diesmal als Äusserung der jungen
Hundebesitzerin, die im Artikel ausführlich zu Wort kommt. Dies im Gegensatz
zu den Behörden, die nur wenig sagen, denn sie dürfen sich nicht zum
laufenden Verfahren äussern. Das kommt sehr zupass, denn eine Relativierung
würde den Skandalwert der Geschichte ruinieren. Dass die ganze Vorgeschichte
des Hundes ausgeblendet bleibt, ist erstaunlich: Weder wird der Umstand,
dass eine Maulkorb- und Leinenpflicht auferlegt wurde, hinterfragt noch,
dass die Haltebewilligung auch an einen Kursbesuch gebunden wurde. Ebenso
keine Berücksichtigung findet der Wesenstest, der ergeben hat, dass das Tier
eine Gefahr darstellt. Gleiches gilt für Aussagen aus einer früheren
Begutachtung durch den Präsidenten des Schweizerischen Rottweilerhundeclubs,
der zu fast identischen Schlüssen gekommen war. Von all dem erfuhr die
Öffentlichkeit zu jenem Zeitpunkt noch nichts. Hingegen prangerte
Tierschützerin Z. die Zustände im Schaffhauser Tierheim an und durfte auch
gleich noch (Zitat aus dem Artikel: «Die willkürlich beschlagnahmte und
schuldlos in die Todeszelle gesteckte Nessi») den Titel für den Artikel
liefern. Und die Lancierung einer Online-Petition verkünden. Jetzt nahm die
Geschichte vom unschuldigen Hund in der Todeszelle Fahrt auf.
Empörung im Internet
Die Petition wurde in Zusammenarbeit mit einer weiteren Tierschützerin schon
am 28. Oktober aufgeschaltet, für das Anliegen mit dem bereits bekannten
irreführenden Text der ersten Mitteilung geworben. Das wirkte: Die
Online-Petition wurde eifrigst unterschrieben, anfangs beherrschten Empörung
und Wut die Wortmeldungen, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von
Personen kamen, die weder die Beteiligten noch den Fall kennen. Dennoch
wurde die Petition angeklickt, dafür sorgten auch zahlreiche Links auf den
einschlägigen Plattformen, wie jene des Tierheims Bielefeld, die
Rottweiler.de-Homepage oder Wuff.de. In einem Forumsbeitrag steht zu lesen,
was jetzt hundertfach abläuft: «Ich leite das mal weiter. Ich bin ziemlich
emotional geworden und deshalb schreibe ich einfach nicht viel, sondern
kopiere euch das rein, was ihr an Informationen braucht.» Gemeint ist noch
immer die erste Mitteilung, die inzwischen noch weniger den Fakten
entspricht, denn bereits am 26. Oktober hat der Regierungsrat den gegen die
Beschlagnahmung eingereichten Rekurs abgewiesen.
Sündenbock Kantonstierarzt
Schnell stellten sich mehrere Hundert Personen hinter die Petition, bis 3.
November haben schon über 1800 Leute dafür geklickt, manche unterschrieben
auch zweimal unter verschiedenen Namen, wie sie in Foren nachher freimütig
zugaben. Tierschützerin Z. liess ihrem Ärger ebenfalls freien Lauf: Sie
kritisierte, dass der Kantonstierarzt im Vorstand des Schaffhauser
Tierschutzverein sitzt, und schrieb dazu: «So etwas darf nicht sein! Es ist,
als wenn ein Pädophiler in einem Kinderschutzverein und/oder in einem
Kinderheim arbeiten würde! Einfach ungeheuerlich!» Der Ton wird rüder.
Derweil zeigte der Aufruf, sich mit Zuschriften an die Medien zu wenden,
Wirkung: «Der willkürlich beschlagnahmte» Hund solle «ohne Grund getötet
werden», hiess es da etwa, der Kantonstierarzt wurde als
«Kantonstierschreck» diffamiert * und das war noch eine der freundlicheren
Bezeichnungen. Ein Porträtfoto des Amtsinhabers kursierte mitsamt seiner
Telefonnummer im Internet, verbunden mit der Aufforderung, Protestmails zu
senden. Darunter der Satz «Bitte verlangt einen Wesenstest für diesen
Kantonstierarzt!». Aus Österreich wurde dazu aufgerufen, den Kantonstierarzt
anzuprangern, «der Kanton Schaffhausen Š Š tötet vorsorglich Hunde», stand
in einem anderen Mail. Auch aus Deutschland trafen Zuschriften ein: Ein
Ehepaar verlangte im Namen «der verantwortungsvollen Hundebesitzer», dass
das Tier «sofort an seine verantwortungsvollen Halter zurückzugeben» sei und
sich der Kantonstierarzt entschuldige. Inzwischen haben über 2000 Personen
die Online-Petition angeklickt.
Fakten werden öffentlich
Noch immer darf die Besitzerin ihren Hund mit anderen Personen zusammen im
Tierheim besuchen: Eigentlich nicht üblich, aber aus Goodwill gegenüber der
Halterin wird das vom viel gescholtenen Tierarzt gewährt. In der
Zwischenzeit wurden weitere Details über die Vorgeschichte des Hundes
bekannt, Nachbarn und auch eine ehemalige Hundetrainerin meldeten sich und
bestätigten die Einschätzungen der Experten, dass die Halterin mit dem Tier
überfordert gewesen sei und ist. Und auch die Ablehnung des Regierungrates
wurde öffentlich. Gleichentags legt der «Bock» nach. Plötzlich ist die
«Todeszelle» weg, dafür heisst es, das Tier müsse «womöglich mit dem Tod
bezahlen», gleichzeitig wollen jetzt Tierschützerin und Halterin die
Geister, die sie gerufen hatten, loswerden: «Ich distanziere mich hiermit
ganz klar und deutlich von diesen unflätigen, wirren und absurden E-Mails,
die von diversen Tierschützern an die Zeitung und an Kantonstierarzt Dr.
Brunner geschrieben worden sind», heisst es in einer Zuschrift, die erneut
von der jungen Hundehalterin unterzeichnet worden sein soll. Namentlich
ausgenommen von der Kritik: die Initianten der Demo, die beiden
Tierschützerinnen Z. und S. Das überrascht kaum, denn: Vor der Publikation
der Zuschrift wurde Kontakt mit der Hundehalterin aufgenommen. Diese konnte
nach eigenen Angaben die Korrekturen nicht selber vornehmen und überliess
das Tierschützerin Z., welche das Mail mit einer vorgelagerten Brandrede
zuschickte. Der Grund für den plötzlichen Sinneswandel findet sich in einer
Aussage, die Tierschützerin Z. zugeschrieben wird: «Würden Sie bitte Ihren
Tierschutzkollegen/-innen sagen, dass sie solche Aufrufe unterlassen sollen.
Offenbar haben diese Leute immer noch nicht begriffen, wie man bei einer
solche Angelegenheit vorgehen muss! Wenn sie vorher schon nicht in der Lage
waren, X (gemeint ist die Besitzerin, Anm. d. Red.) zu helfen, sollten sie
jetzt nicht auch noch alles kaputtmachen, was ich aufgegleist habe! Und
glauben Sie mir, ich weiss, was ich wie machen muss!» Stattdessen seien nun
«intelligente Aktivitäten gefordert».
Zweifel werden laut
Das wiederum sorgte in den Internetforen für Verwirrung: «Aber war das nicht
genau die Dame, die den Aufruf gestartet hat? Und jetzt schreibt sie, er sei
primitiv?», schrieb «Leopold» am 3. November, «vielleicht steh ich ja auf
der Leitung, aber ich kenn mich jetzt nicht mehr aus, wer da was will.» In
den folgenden Tagen wurden immer mehr Details zur Vorgeschichte öffentlich
und liessen Zweifel laut werden: «Ich glaube nicht, dass der Hund einfach so
beschlagnahmt wurde!», schreibt «Nero-the-Great», und «Dobifan» antwortet:
«Also wieder nur die halbe Wahrheit, und eigentlich weiss man gar nicht,
worüber man hier wirklich diskutiert...»
«Hetzjagd in den Medien»
Am 10. November wurde der Hund aus dem Tierheim Buchbrunnen in Schaffhausen
entführt, die Angestellten erklärten, die Besitzerin habe das Tier
entwendet. Der Lieferwagen, mit dem die beiden samt Hund flüchteten, gehört
aber Z. Die Polizei durchsuchte am Dienstag das Haus der Tierschützerin,
fand aber nichts. Z. sagte gegenüber einer Gratiszeitung: «Nessi ist an
einem sicheren Ort, denn ich bin weltweit vernetzt.» Beim «Bock» wäscht man
die Hände in Unschuld: «Der Kampf um die Rückgabe ihrer vom Veterinäramt
beschlagnahmten Rottweilerhündin Nessi, die Sorge um deren ungewisse
Zukunft, die Hetzjagd in den Medien», so wird vermutet, seien wohl zu viel
gewesen für die Besitzerin.
Hundehalterin droht Strafe
Die Angelegenheit liegt jetzt beim Untersuchungsrichteramt des Kantons
Schaffhausen. Untersucht wird der Straftatbestand «Bruch amtlicher
Beschlagnahme» * ein Vergehen, auf das Freiheitsstrafe von bis zu drei3
Jahren oder Geldstrafe steht. Dafür, so steht zu befürchten, muss am Ende
die 23-jährige Besitzerin geradestehen. Tierschützerin Z., die bei der
Entführung des Hundes das Gesetz ignorierte, hat aber bereits die nächste
Front eröffnet und beklagt sich über Gesetzesverstösse: Das Tierheim
Schaffhausen missachte das Tierschutzgesetz, das Heim sei ein «Todeslager».
Der Kantonstierarzt hat bereits klargestellt, dass Anpassungen bei den
Zellen vorgenommen werden müssten und dies auch geschehe, noch sei die
Unterbringung aber gemäss Gesetz erlaubt. Trotzdem: Für Samstag hat Z. zur
Demonstration aufgerufen. Im Internet wird die Petition zur Herausgabe des
Hundes weiter angeklickt.
Rottweiler-Fall Die Chronologie der Ereignisse
19. Mai 2008 Hund und Führung werden durch den Präsidenten des
Rottweilerhundeclubs untersucht. Empfehlung: Ohne rasche Verbesserung soll
das Tier eingeschläfert werden. 30. Juli 2008 Haltebewilligung mit Leinen-
und Maulkorbpflicht, Verpflichtung zum Besuch eines Trainingskurses. 8.
September 2010 Vorsorgliche Beschlagnahmung, bis Untersuchungen
abgeschlossen. 11. September 2010 Wesenstest durch Experten. Empfehlung:
Einschläferung, Umplatzierung unmöglich. 18. Oktober 2010 Einzugsverfügung:
Veterinäramt entscheidet über weiteres Vorgehen, Umplatzierung wird
angestrebt. 26. Oktober 2010 Der Regierungsrat lehnt den Rekurs gegen die
Verfü-gung ab. 10. November 2010 Entführung des Hundes aus dem Tierheim.
(rob)
http://www2.shn.ch/index.php?page=archivdetail&rub=news&detail=295364
Viel Wirbel um Nessi: Eine Geschichte über selbst ernannte Tierschützer,
einen Skandal, den es nicht gab, und eine junge Frau, die instrumentalisiert
wurde.
VON ROBIN BLANCK
«Meine Hündin wurde von Amts wegen regelrecht verschleppt!», hiess es im
ersten Mail, das die junge Besitzerin der eingezogenen Rottweilerhündin am
24. Oktober an sieben Redaktionen in der Schweiz versandte, darunter an die
der SN. Diese längere Mitteilung bildet den Ausgangspunkt für eine Hysterie,
die mit der Entführung des Tieres und vermutlich mit einem Gerichtsverfahren
enden wird.
Zuerst ahnungs- und harmlos
In dieser ersten Mitteilung gab sich die Besitzerin weitgehend ahnungslos,
Grundtenor: Aufgrund einer Falschaussage eines anderen Hundebesitzers sei
der Rottweiler «beschlagnahmt worden». Der Hund habe aber «wohlverstanden
noch nie einen Menschen oder ein anderes Tier angegriffen». Von
«Beamtenwillkür» ist da die Rede und auch vor Vergleichen mit dem Naziregime
wird nicht zurückgeschreckt: «Dieselbe Situation gab es schon einmal in den
Dreissigerjahren. Damals hat man ebenfalls dasselbe Unrecht an unschuldigen
Menschen begangen!» Ob die junge Hundebesitzerin diesen Text noch selbst
verfasst hat oder ob bereits die selbst ernannte Tierschützerin Z. aus dem
Kanton St. Gallen das Zepter übernommen hat, ist nicht klar, die Tonalität
ist aber bereits reichlich angriffig und gleicht anderen Wortmeldungen von
Z.
Relativierte Aussagen
Erste Rückfragen bei der Hundehalterin zum Sachverhalt relativieren manche
der Aussagen und werfen ein neues Licht auf den Fall: Es war damals sehr
wohl klar, wo der Hund war, und auch Besuche waren der Besitzerin erlaubt.
Zudem lag der Wesenstest damals schon fast zwei Wochen zurück, die
entsprechende Verfügung war eine Woche alt. Ein klärendes Gespräch mit der
Anwältin der Hundebesitzerin war zu diesem Zeitpunkt unmöglich, doch die
Geschichte fiel in einer anderen Redaktion auf fruchtbaren Boden: In seiner
Ausgabe vom 2. November titelte der «Bock»: «Schuldlos in der Todeszelle»,
auf der Frontseite.
Auftritt der «Todeszelle»
Auch da finden wir den oben zitierten Satz im Original: «Sie wurde von Amts
wegen regelrecht verschleppt», diesmal als Äusserung der jungen
Hundebesitzerin, die im Artikel ausführlich zu Wort kommt. Dies im Gegensatz
zu den Behörden, die nur wenig sagen, denn sie dürfen sich nicht zum
laufenden Verfahren äussern. Das kommt sehr zupass, denn eine Relativierung
würde den Skandalwert der Geschichte ruinieren. Dass die ganze Vorgeschichte
des Hundes ausgeblendet bleibt, ist erstaunlich: Weder wird der Umstand,
dass eine Maulkorb- und Leinenpflicht auferlegt wurde, hinterfragt noch,
dass die Haltebewilligung auch an einen Kursbesuch gebunden wurde. Ebenso
keine Berücksichtigung findet der Wesenstest, der ergeben hat, dass das Tier
eine Gefahr darstellt. Gleiches gilt für Aussagen aus einer früheren
Begutachtung durch den Präsidenten des Schweizerischen Rottweilerhundeclubs,
der zu fast identischen Schlüssen gekommen war. Von all dem erfuhr die
Öffentlichkeit zu jenem Zeitpunkt noch nichts. Hingegen prangerte
Tierschützerin Z. die Zustände im Schaffhauser Tierheim an und durfte auch
gleich noch (Zitat aus dem Artikel: «Die willkürlich beschlagnahmte und
schuldlos in die Todeszelle gesteckte Nessi») den Titel für den Artikel
liefern. Und die Lancierung einer Online-Petition verkünden. Jetzt nahm die
Geschichte vom unschuldigen Hund in der Todeszelle Fahrt auf.
Empörung im Internet
Die Petition wurde in Zusammenarbeit mit einer weiteren Tierschützerin schon
am 28. Oktober aufgeschaltet, für das Anliegen mit dem bereits bekannten
irreführenden Text der ersten Mitteilung geworben. Das wirkte: Die
Online-Petition wurde eifrigst unterschrieben, anfangs beherrschten Empörung
und Wut die Wortmeldungen, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von
Personen kamen, die weder die Beteiligten noch den Fall kennen. Dennoch
wurde die Petition angeklickt, dafür sorgten auch zahlreiche Links auf den
einschlägigen Plattformen, wie jene des Tierheims Bielefeld, die
Rottweiler.de-Homepage oder Wuff.de. In einem Forumsbeitrag steht zu lesen,
was jetzt hundertfach abläuft: «Ich leite das mal weiter. Ich bin ziemlich
emotional geworden und deshalb schreibe ich einfach nicht viel, sondern
kopiere euch das rein, was ihr an Informationen braucht.» Gemeint ist noch
immer die erste Mitteilung, die inzwischen noch weniger den Fakten
entspricht, denn bereits am 26. Oktober hat der Regierungsrat den gegen die
Beschlagnahmung eingereichten Rekurs abgewiesen.
Sündenbock Kantonstierarzt
Schnell stellten sich mehrere Hundert Personen hinter die Petition, bis 3.
November haben schon über 1800 Leute dafür geklickt, manche unterschrieben
auch zweimal unter verschiedenen Namen, wie sie in Foren nachher freimütig
zugaben. Tierschützerin Z. liess ihrem Ärger ebenfalls freien Lauf: Sie
kritisierte, dass der Kantonstierarzt im Vorstand des Schaffhauser
Tierschutzverein sitzt, und schrieb dazu: «So etwas darf nicht sein! Es ist,
als wenn ein Pädophiler in einem Kinderschutzverein und/oder in einem
Kinderheim arbeiten würde! Einfach ungeheuerlich!» Der Ton wird rüder.
Derweil zeigte der Aufruf, sich mit Zuschriften an die Medien zu wenden,
Wirkung: «Der willkürlich beschlagnahmte» Hund solle «ohne Grund getötet
werden», hiess es da etwa, der Kantonstierarzt wurde als
«Kantonstierschreck» diffamiert * und das war noch eine der freundlicheren
Bezeichnungen. Ein Porträtfoto des Amtsinhabers kursierte mitsamt seiner
Telefonnummer im Internet, verbunden mit der Aufforderung, Protestmails zu
senden. Darunter der Satz «Bitte verlangt einen Wesenstest für diesen
Kantonstierarzt!». Aus Österreich wurde dazu aufgerufen, den Kantonstierarzt
anzuprangern, «der Kanton Schaffhausen Š Š tötet vorsorglich Hunde», stand
in einem anderen Mail. Auch aus Deutschland trafen Zuschriften ein: Ein
Ehepaar verlangte im Namen «der verantwortungsvollen Hundebesitzer», dass
das Tier «sofort an seine verantwortungsvollen Halter zurückzugeben» sei und
sich der Kantonstierarzt entschuldige. Inzwischen haben über 2000 Personen
die Online-Petition angeklickt.
Fakten werden öffentlich
Noch immer darf die Besitzerin ihren Hund mit anderen Personen zusammen im
Tierheim besuchen: Eigentlich nicht üblich, aber aus Goodwill gegenüber der
Halterin wird das vom viel gescholtenen Tierarzt gewährt. In der
Zwischenzeit wurden weitere Details über die Vorgeschichte des Hundes
bekannt, Nachbarn und auch eine ehemalige Hundetrainerin meldeten sich und
bestätigten die Einschätzungen der Experten, dass die Halterin mit dem Tier
überfordert gewesen sei und ist. Und auch die Ablehnung des Regierungrates
wurde öffentlich. Gleichentags legt der «Bock» nach. Plötzlich ist die
«Todeszelle» weg, dafür heisst es, das Tier müsse «womöglich mit dem Tod
bezahlen», gleichzeitig wollen jetzt Tierschützerin und Halterin die
Geister, die sie gerufen hatten, loswerden: «Ich distanziere mich hiermit
ganz klar und deutlich von diesen unflätigen, wirren und absurden E-Mails,
die von diversen Tierschützern an die Zeitung und an Kantonstierarzt Dr.
Brunner geschrieben worden sind», heisst es in einer Zuschrift, die erneut
von der jungen Hundehalterin unterzeichnet worden sein soll. Namentlich
ausgenommen von der Kritik: die Initianten der Demo, die beiden
Tierschützerinnen Z. und S. Das überrascht kaum, denn: Vor der Publikation
der Zuschrift wurde Kontakt mit der Hundehalterin aufgenommen. Diese konnte
nach eigenen Angaben die Korrekturen nicht selber vornehmen und überliess
das Tierschützerin Z., welche das Mail mit einer vorgelagerten Brandrede
zuschickte. Der Grund für den plötzlichen Sinneswandel findet sich in einer
Aussage, die Tierschützerin Z. zugeschrieben wird: «Würden Sie bitte Ihren
Tierschutzkollegen/-innen sagen, dass sie solche Aufrufe unterlassen sollen.
Offenbar haben diese Leute immer noch nicht begriffen, wie man bei einer
solche Angelegenheit vorgehen muss! Wenn sie vorher schon nicht in der Lage
waren, X (gemeint ist die Besitzerin, Anm. d. Red.) zu helfen, sollten sie
jetzt nicht auch noch alles kaputtmachen, was ich aufgegleist habe! Und
glauben Sie mir, ich weiss, was ich wie machen muss!» Stattdessen seien nun
«intelligente Aktivitäten gefordert».
Zweifel werden laut
Das wiederum sorgte in den Internetforen für Verwirrung: «Aber war das nicht
genau die Dame, die den Aufruf gestartet hat? Und jetzt schreibt sie, er sei
primitiv?», schrieb «Leopold» am 3. November, «vielleicht steh ich ja auf
der Leitung, aber ich kenn mich jetzt nicht mehr aus, wer da was will.» In
den folgenden Tagen wurden immer mehr Details zur Vorgeschichte öffentlich
und liessen Zweifel laut werden: «Ich glaube nicht, dass der Hund einfach so
beschlagnahmt wurde!», schreibt «Nero-the-Great», und «Dobifan» antwortet:
«Also wieder nur die halbe Wahrheit, und eigentlich weiss man gar nicht,
worüber man hier wirklich diskutiert...»
«Hetzjagd in den Medien»
Am 10. November wurde der Hund aus dem Tierheim Buchbrunnen in Schaffhausen
entführt, die Angestellten erklärten, die Besitzerin habe das Tier
entwendet. Der Lieferwagen, mit dem die beiden samt Hund flüchteten, gehört
aber Z. Die Polizei durchsuchte am Dienstag das Haus der Tierschützerin,
fand aber nichts. Z. sagte gegenüber einer Gratiszeitung: «Nessi ist an
einem sicheren Ort, denn ich bin weltweit vernetzt.» Beim «Bock» wäscht man
die Hände in Unschuld: «Der Kampf um die Rückgabe ihrer vom Veterinäramt
beschlagnahmten Rottweilerhündin Nessi, die Sorge um deren ungewisse
Zukunft, die Hetzjagd in den Medien», so wird vermutet, seien wohl zu viel
gewesen für die Besitzerin.
Hundehalterin droht Strafe
Die Angelegenheit liegt jetzt beim Untersuchungsrichteramt des Kantons
Schaffhausen. Untersucht wird der Straftatbestand «Bruch amtlicher
Beschlagnahme» * ein Vergehen, auf das Freiheitsstrafe von bis zu drei3
Jahren oder Geldstrafe steht. Dafür, so steht zu befürchten, muss am Ende
die 23-jährige Besitzerin geradestehen. Tierschützerin Z., die bei der
Entführung des Hundes das Gesetz ignorierte, hat aber bereits die nächste
Front eröffnet und beklagt sich über Gesetzesverstösse: Das Tierheim
Schaffhausen missachte das Tierschutzgesetz, das Heim sei ein «Todeslager».
Der Kantonstierarzt hat bereits klargestellt, dass Anpassungen bei den
Zellen vorgenommen werden müssten und dies auch geschehe, noch sei die
Unterbringung aber gemäss Gesetz erlaubt. Trotzdem: Für Samstag hat Z. zur
Demonstration aufgerufen. Im Internet wird die Petition zur Herausgabe des
Hundes weiter angeklickt.
Rottweiler-Fall Die Chronologie der Ereignisse
19. Mai 2008 Hund und Führung werden durch den Präsidenten des
Rottweilerhundeclubs untersucht. Empfehlung: Ohne rasche Verbesserung soll
das Tier eingeschläfert werden. 30. Juli 2008 Haltebewilligung mit Leinen-
und Maulkorbpflicht, Verpflichtung zum Besuch eines Trainingskurses. 8.
September 2010 Vorsorgliche Beschlagnahmung, bis Untersuchungen
abgeschlossen. 11. September 2010 Wesenstest durch Experten. Empfehlung:
Einschläferung, Umplatzierung unmöglich. 18. Oktober 2010 Einzugsverfügung:
Veterinäramt entscheidet über weiteres Vorgehen, Umplatzierung wird
angestrebt. 26. Oktober 2010 Der Regierungsrat lehnt den Rekurs gegen die
Verfü-gung ab. 10. November 2010 Entführung des Hundes aus dem Tierheim.
(rob)
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