Es ging Emil anfänglich so wie deinem Hund, er rannte in der Wohnung mit viel Schwung gegen alles, aber wirklich gegen alles und das nicht nur einmal. Auch ich habe, so wie du, durchgehend nur "Stop,Stop, STOP" gerufen, auch an verzweifelte Versuche mit "in der Wohnung anleinen" erinnere ich mich gut.

An Spaziergänge war ohnehin nicht zu denken.
Aber langsam kam die Besserung: Emil bewegte sich (nachdem sein Kopf so zerschlagen war, wie der von Rocky Balboa nach Rocky I-27) endlich langsamer. Und ein paar Heizkörper, Sessel, Mauern und Kanten hatte er sich ENDLICH gemerkt. Ich dachte es geht bergauf, zumal er sich auch endlich von mir aufhalten lies, wenn er wieder mal schnurstraks auf das Bucherregal hinstapfte.
Dann ereignete sich jedoch 3x hintereinander etwas, was wieder Panik bei mir hervor rief: Emil hatte bereits gelernt "wenn ich wo dagegenlaufe, gehe ich einen Schritt zurück und taste mich vorsichtig in eine andere Richtung weiter".
Dann war es 3x so, dass er aus seinem Körbchen stieg, mit voller Wucht gegen die unmittelbar neben dem Körbchen stehende Kommode lief, jedoch nicht sich weitertastete, sondern sich komplett um die eigene Achse drehte um neuerlich voll gegen die Kommode zu knallen. Und das bis zu 7,8,9x hintereinander (dann griff ich ein). Er war komplett orientierungslos.

Ich dachte schon an einen Hirntumor.
Des Rätsels Lösung: Emils Gehirn war noch nicht auf "blind" umgestellt. Er träumte noch in Bildern. Jetzt war es seine ersten 3 Lebensjahre so, dass er, wenn er wach war, sah und wenn er schlief, nichts sah. Jetzt war es auf einmal umgekehrt. Wenn er schlief, "sah" er was und wenn er aufwachte, war es stockfinster. Das hatte ihn so verwirrt.
Aber auch diese Problem hat sich gelegt. Ich glaube, Emil hat schon fast gänzlich vergessen, was Bilder sind. Er lebt und träumt in Geruchskorridoren, Geräuschen und Bodenbeschaffenheiten.
Auch ich dachte mir damals, ich könne es nicht ertragen, meinem Emil nie mehr in die Augen schauen zu können (beide mussten entfernt werden). Heute weiss ich nicht mal mehr, wie seine Augen genau ausgesehen haben, es ist nicht mehr wichtig.

An seinen Augenhöhlen kann ich genau erkennen, wie er gerade drauf ist (die Augenmuskulatur arbeitet ja weiter, wurscht ob Augen da sind, oder nicht).
Noch ein paar Tipps:
Alles, was Pittipatt geschrieben hat, kann ich zu 100% unterschreiben.
Auch ich habe ein paar Teppiche auf den Hauptrouten durch die Wohnung gelegt. Über Stühle und zB. Heizkörper habe ich Jacken gehängt, Emil bremst sofort ein, wenn er weichen Stoff auf der Nase spührt, und rennt nicht mehr hart dagegen (also heute läuft er fast überhaupt nicht mehr dagegen, aber anfänglich hat das sehr geholfen). Türen würde ich immer ganz offen, oder ganz zu machen. Emil ist mit einer Zielsicherheit immer ins schmale Türblatt gelaufen

, mittlerweile habe ich Schiebetüren, das ist weniger schmerzhaft.
Manchmal kommt der Tipp, spitze Kanten mit Duftöl zu markieren. Ich persönlich halte nicht so viel davon, weil diese Öle zu stark riechen und fast mehr Orientierung nehmen als geben.
Von den Kommandos her werden du und dein Hund selbst heraus finden, was am besten zu euch passt. Mit dem Kommandos "links-rechts" konnten Emil und ich wenig anfangen: Erstens hab ich eine Linksrechts-Schwäche

, zweitens kommt es immer darauf an, ob der Hund dir gegenüber oder in deine Blickrichtung steht - also bis ich das richtige "links" oder "rechts" gerufen hatte, war meistens das Maleur schon passiert, als haben wir das wieder gelassen. Wir kommen mit "Stop" sehr gut durchs Leben.
Je nachdem, wie laut oder oft ich es rufe, weiss Emil "langsamer gehen und Richtung leicht verändern" "stehn bleiben" oder "keinen Millimeter weiter, sonst tut es richtig weh".
Du wirst merken, wo dein Hund Orientierung braucht und dazu lässt du dir ein Schlagwort einfallen.
Die von Emil und mir sind unter anderem noch:
- "Leine" (war am Anfang sehr wichtig, weil ihn das plötzliche Klacken des Leinenkarabieners bei seinem Ohr sehr erschrocken hat, ich sag es immer, wenn ich an + ableine)
- "Mistkübel" (ganz wichtig, weil Emil anfänglich panisch wurde, wenn ich das Gackerlsackerl in diese hängenden Mistkübel geworfen habe und es "über seinem Kopf geplumst" hat)
- "Bank" (wichtig, dieses Gebilde kann er schwer geistig erfassen, und riechen tun die Dinger anscheinen auch nicht wirklich, genauso wie Laternenpfosten und große Steine; Bäume scheine gut zu duften, er ist noch nie in einen gerannt)
- "geh außen rum" (= umrunde das Hindernis, vorbeigehen ist nicht)
- "nah zu mir" (=geh direkt hinter mir in genau meiner Spur; brauche ich sehr oft, wenn ich bei schmalen Stellen oder an Glasscherben vorbei muss)
- "ist ok" (= du hörst, riechst den anderen Hund, aber der kommt nicht her)
- "hoppi" (= spring; ich klopfe mit der Hand immer dort hin, wo er hinspringen soll - Kofferraum, Couch, Ordinationstisch...; so kann er Höhe und Tiefe des Sprungs berechnen)
- "vorsichtig hoppi" (=spring runter/raus, aber es ist gleich nach der Landung ein Hindernis)
- "hoppi, alles frei" (= du kannst runter/rausspringen und den Sprung gut auslaufen)
- "alles frei lauf" (= kein Hindernis weit und breit)
- "Boden" (= geh vorsichtig; bei Wurzeln oder Schlaglöchern)
- "Treppe auf+ ab"; "Treppe Ende" (auch das Ende von Treppen sag ich immer an, damit er nicht ins Leere steigt)
- "Stufe auf/ab"
Du wirst sehen, das mit den Kommandos wird sich bei euch einspielen. Emil läuft heute übrigens weit lieber frei, als an der Leine. Ich sag ihm die Umwelt einfach an bzw. ist es schon sehr erstaunlich, was Hunde alles riechen/fühlen. Auch in fremder Umgebung läuft er so sicher, dass mir viele Leute nicht glauben wollen, dass der Hund blind ist. "Nah, a bisserl a Sehkraft wird der schon noch haben, oder?" Wenn mir manche überhaupt nicht glauben wollen, lass ich sie Emil in die "Augen" schauen, dann ist Ruhe.
Ich bin sehr froh, dass ich damals auf Emil gehört habe und ihn nicht einschläfern lies. Heute ist er mit sich und seinem Leben sehr im reinen und ich glaube sogar, souveräner, als er es als sehender Hund je geworden wäre.
Wir sind allerdings auf`s Land gezogen, die Stadt war für ihn doch recht anstrengend. Und unsere Spaziergänge sind nicht mehr so lange, wie früher, da er sich doch mehr konzentrieren muss.
Am liebsten liegt er heute im Garten (natürlich an der Stelle mit dem besten Dolby sorround

) und lässt sich die Sonne auf den Pelz brennen. Seine Wachaufgabe nimmt er sehr ernst und es macht ihn stolz, wenn er wieder mal dem Nachbarn erklärt hat, was er von ihm hält.
Heute kann ich mit gutem Gewissen sagen: Es geht ihm wirklich sehr gut.
Und ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass du das auch eines Tages über deinen Hund sagen wirst können! Alles Gute und Kopf hoch!
PS.: Ein totschickes Blindhalsband habe wir übrigens auch, aber es sorgt eigentlich fast mehr für Verwirrung, weil die Leute immer glauben, ich sei blind.

Du wirst sehen, mit einem blinden Hund lebt es sich ganz anders, aber durchaus sehr lustig und wirklich sehr, sehr schön!