Der Wolfsfaktor

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Der Wolfsfaktor

Wenn die Menschen wegziehen, kommen die Wölfe wieder. Sieben oder acht leben neuerdings in der Muskauer Heide in Sachsen. Um das Image der scheuen Tiere kümmert sich Wolfsforscherin Gesa Kluth


von Eckhard Fuhr

Im Treppenhaus, erster Stock", sagt die Frau an der Kasse, "wenn Sie nur den Wolf sehen wollen, brauchen Sie keine Eintrittskarte".


Es kommen wenige Leute ins Heimatmuseum von Hoyerswerda. Die wenigen, die kommen, wollen den Wolf sehen. Der gehört nicht zur Ausstellung. Er steht vor dem Eingang in einer Glasvitrine.


Es ist eine Wölfin, 160 Zentimeter lang, 80 Zentimeter hoch. Sie wog 41 Kilo. Den Tod fand sie im Februar 1904 bei einer Treibjagd. Der "glückliche Schütze", Förster Bremer, erhielt 100 Mark Belohnung. Vier Jahre lang, seit Anbruch des neuen Jahrhunderts, von dem man auch in Hoyerswerda grenzenlosen Fortschritt erwartete, hatte sich der "Tiger von Sobrodt" in den Wäldern herumgetrieben. Er soll der letzte frei lebende Wolf in Deutschland gewesen sein. Er passte einfach nicht mehr in die Zeit.


Jetzt ist wieder ein Jahrhundert vergangen. Das mit dem Fortschritt ist komplizierter geworden. Was das sei und dass ein Wolf keinesfalls dazu gehört, darüber verständigt man sich heute nicht so schnell wie vor 100 Jahren. Die Wölfe, seit zehntausenden Jahren treue Begleiter des Menschen - die Menschen der "zivilisierten Welt" hatten das nur für einen kurzen Moment vergessen - die Wölfe nutzen die Verwirrung. Fortschritt ist für sie immer dasselbe. Sie suchen Reviere, um zu jagen und sich fortzupflanzen. Ob die Menschen, mit denen sie dabei in Berührung kommen, nomadisierende Jäger sind oder globalisierte Laptop-Benutzer, ist ihnen egal. Sie haben keinen Sinn für diesen Kleinkram der kulturellen Evolution.


Die Wölfe sind also wieder da. Pünktlich zum Beginn des neuen Jahrhunderts besetzte ein Paar das 160 Quadratkilometer große Waldgebiet der Muskauer Heide, das als Truppenübungsplatz genutzt wird, und gründete ein Rudel. Wahrscheinlich kamen die Wölfe aus Polen über die Neiße. Der Bestand dort ist gewachsen, seit auch in Polen Wölfe streng geschützt sind. Seit dem Jahr 2000 ist die Oberlausitz wieder Wolfsgebiet.


Im Jahr 2000 saß Gesa Kluth in der Schorfheide nördlich von Berlin und wartete auf Wölfe. Nachdem in den Neunzigern immer öfter Wölfe in Brandenburg aufgetaucht waren, erwarteten Zoologen die wölfische Landnahme dort, wo die Bedingungen ideal sind: geringe Bevölkerungs- aber hohe Wilddichte. Gesa Kluth stammt aus Göttingen. In Bremen hat sie Biologie studiert. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über Wölfe. Sie forschte in Portugal und Estland. Etwas anderes als der Wolf als Thema wäre für sie nicht in Frage gekommen, sagt sie. Der Weg zum Wolf führe über den Menschen. Die Beziehung zwischen beiden sei das Interessante. Es gebe keine vergleichbare. Der Hund unter dem Tisch, ein Weimaraner, bezeugt das.


Als die Wölfe einen anderen Weg nach Deutschland wählten, nicht im Norden Brandenburgs, sondern im Norden Sachsens siedelten, brach Gesa Kluth die Zelte in der Schorfheide ab, zog in die Lausitz und gründete zusammen mit ihrer Kollegin Ilka Reinhardt das "Wildbiologische Büro Lupus" - im strukturschwachen Osten eine Existenzgründung auf Wolfsbasis, das zeugt von Unternehmergeist.


Gesa Kluth sieht ein wenig aus wie Meryl Streep. Sie war schon bei Johannes B. Kerner und ist Botschafterin der Oberlausitz. Der Wolf nämlich soll zu einem positiven Imagefaktor der Region werden. Gerade haben der sächsische Umweltminister Steffen Flath und Bernd Lange, der Landrat des Niederschlesischen Oberlausitzkreises, in Rietschen am Rande des Truppenübungsplatzes ein "Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz" ins Leben gerufen. Sie erwarten sich davon einen "Schub für das Wolfsmarketing". Zwar bekommen normale Spaziergänger oder Radfahrer so gut wie nie einen Wolf zu Gesicht. Aber allein die Aussicht darauf, durch Wälder zu wandern, in denen Wölfe leben, soll viele Neugierige in das Wolfsgebiet gelockt haben. Das hätte sich vor 100 Jahren in Hoyerswerda niemand vorstellen können.

Quelle: Die Welt
 
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